Montag, 16. Januar 2023

Ich finde mich als wirkend in der Sinnenwelt.

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4. Ich finde mich als wirkend in der Sinnenwelt. Davon hebt alles Bewusstsein an; und ohne dieses Bewusstsein meiner Wirksamkeit ist kein Selbstbewusstsein; ohne dieses kein Bewusstsein eines anderen, das nicht ich selbst sein soll. Wer einen Beweis dieser Behaup-tung begehrt, der findet denselben ausführlich in folgenden zweiten Hauptstücke. Hier wird sie nur aufgestellt als unmittelbare Tatsache des Bewusstseins, um daran unser Rä-sonnement an zu knüpfen.

Welches Mannigfaltige ist in dieser Vorstellung meiner Wirksamkeit enthalten; und wie mag ich zu diesem Mannigfaltigen kommen?

Möge man auch vorläufig annehmen, dass die Vorstellung des bei meiner Wirksamkeit fortdauernden und durch sie schlechthin nicht zu verändernden Stoffes, die Vorstellung der Beschaffenheiten dieses  Stoffes, die durch meine Wirksamkeit verändert werden, die Vorstellung dieser fortschreitenden Veränderung, bis die Gestalt dasteht, die ich beabsich-tigte; dass alle diese in der Vorstellung von meiner Wirksamkeit enthaltenen Vorstellungen mir von außen gegeben werden, welchen Ausdruck ich freilich nicht verstehe; dass es Er-fahrung ist, oder wie man etwa diesen Nichtgedanken noch ausdrückt; so liegt doch noch etwas in der Vorstellung von meiner Wirksamkeit, was mir schlechthin nicht von außen kommen kann, sondern in mir selbst liegen, was ich nicht erfahren und lernen kann, son-dern unmittelbar wissen muss: dass ich selbst der letzte Grund der geschehenen Verände-rung sein soll.

Ich bin der Grund dieser Veränderung, heißt: Dasselbe und kein anderes, welches um die Veränderung weiß, ist zugleich auch das Wirkende; das Subjekt des Bewusstseins und das Prinzip der Wirksamkeit sind Eins. Was ich aber beim Ursprunge alles Wissens vom Sub-jekte des Wissens selbst aussage, was ich weiß, dadurch, dass ich überhaupt weiß, kann ich aus keinem anderen Wissen gezogen haben; ich weiß es unmittelbar, ich weiß es schlecht-hin. 

Demnach, sowie ich überhaupt nur weiß, weiß ich, dass ich tätig bin. In der bloßen Form des Wissens ist das Bewußtsein meiner selbst und meiner selbst als eines Tätigen enthal-ten und dadurch unmittelbar gesetzt.

Nun könnte es wohl sein, dass, wenn auch nicht unmittelbar, dennoch vermittelst des so-eben aufgezeigten Unmittelbaren in der bloßen Form des Wissens alles übrige Mannigfal-tige, das in der oben berührten Vorstellung meiner Wirksamkeit liegt, gleichfalls enthalten wäre. Sollte es sich so finden, so würden wir der misslichen Annahme, daß es von außen komme, schon dadurch überhoben, dass wir es auf eine andere und natürlichere Weise zu erklären vermöchten. Es würde durch diese Erklärung die oben aufgeworfene Frage be-antwortet, wie wir dazu kämen, uns eine Wirksamkeit in einer Sinnenwelt außer uns zuzu-schreiben, indem die Notwendigkeit einer solchen Annahme unmittelbar aus dem voraus-gesetzten Bewusstsein abgeleitet würde.

Wir wollen versuchen, ob eine solche Ableitung möglich sei. Ihr Plan ist folgender: Was in der Vorstellung von unserer Wirksamkeit liege, haben wir soeben gesehen. Die Vorausset-zung ist, dass dasselbe im Bewusstsein überhaupt enthalten und mit demselben notwendig gesetzt sei. Wir gehen daher aus von der Form des Bewusstseins überhaupt, leiten ab von ihr; und unsere Untersuchung ist geschlossen, wenn wir auf dem Weg der Ableitung wie-der zur Vorstellung unserer sinnlichen Wirksamkeit zurückkommen. 

aus J. G. Fichte, "System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre"; in ders., Sämmtliche Werke Bd. IV. S. 1-12 sowie in dass., Hamburg (Felix Meiner) 1995, S. 3f.


Nota. - 'Ich finde mich als wirkend in der Sinnenwelt' ist das Elementardatum allen Wis-sens und Bewusstseins. Es wird nicht als philosophisches Prinzip frei gewählt, sondern ist anschaulich gegeben und von ihm ist nicht zu abstrahieren. Es ist die Urbedingung der Vernunft - der Vernunft, wie sie im Newton'schen System historisch gegeben war und al-so der spezifische Gegenstand der Vernunftkritik ist. Es ist der eigentliche Gegenstand der Kritik: Sollte es sich in irgendeiner Weise als durch eine vorgängige Bestimmung be-dingt erweisen, wäre die Kritik noch nicht an ihrem Ziel und müsste tiefer bohren. Tiefer geht's aber nicht.
JE



Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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Bestimmt, unbestimmt, bestimmbar; setzen, abstrahieren.

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