Donnerstag, 1. Mai 2025

Recht stammt nicht aus der Moral.

                                            aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Der deduzierte Satz hat mit dem Sittengesetz nichts zu tun, ist ohne dasselbe deduziert, und schon darin liegt, da nicht mehr als eine Deduktion desselben Begriffes möglich ist, der fak-tische Beweis, dass er nicht aus dem Sittengesetze zu deduzieren sei. Auch sind alle Versu-che einer solchen Deduktion gänzlich misslungen. 

Der Begriff der Pflicht, der aus jenem Gesetze hervorgeht, ist dem des Rechtes in den mei-sten Merkmalen
geradezu entgegengesetzt. Das Sittengesetz gebietet kategorisch, das Rechts-gesetz erlaubt nur, aber gebietet nie, dass man sein Recht ausübe. Ja, das Sittengesetz verbie-tet sehr oft die Ausübung eines Rechts, das dann doch nach dem Geständnis aller Welt dar-um nicht aufhört, ein Recht zu sein. Das Recht hatte er wohl, urteilt man dann, aber er hätte sich desselben hier nicht bedienen sollen.

Ist denn dann das Sittengesetz, ein und ebendasselbe Prinzip, nicht mit sich selbst uneins und gibt zugleich in dem selben Falle dasselbe Recht, das es zugleich in demselben Falle aufhebt? Es ist mir keine Ausrede bekannt, die diesem Einwurfe etwas scheinbares
[sic] entgegengesetzt hätte.
_______________________________________________________________________J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S. 54



Nota I. - Das ist der politische Kerngedanke der Wissenschaftslehre: Recht stammt aus der Vernunft und Vernunft stammt aus der Freiheit. Recht zieht die Grenze, innerhalb derer ein Jeder seine Freiheit ausüben kann; und diese Grenze ist die Stelle, wo die Freiheit der an-dern beginnt.

Moral dagegen gebietet positiv. Jedoch nie, wie sich finden wird, überhaupt und im Begriff, sondern stets spezifisch und konkret. Das einzige allgemeine Gesetz, das man ihr nachsa-gen kann, lautet: Tue jederzeit, was dir dein Gewissen gebietet. Und das ist ganz eigentlich Freiheit: niemandem verantwortlich sein, als dem eigenen forum internum.

28. 2. 19

Nota II. -  Wenn einer sein Recht überschreitet, darf ich ihn zur Verantwortung ziehen, und um der rechtlichen Verfassung des Gemeinwesens willen auch dann, wenn mein eignes Recht gar nicht beeinträchtigt wurde. Wenn einer seine sittliche Pflicht verletzt, ist das seine Sache und die seiner Nächsten, und nur, wenn ich ihm selber irgendwie nahestehe, darf ich ihn ermahnen.

Wenn ein Politiker ein öffentliches Mandat beansprucht, scheidet er von vorherein aus, wenn er das Recht verletzt hat. Hat er seine sittliche Pflicht versäumt, darf ich meine Mit-bürger darauf aufmerksam machen, damit sie ihm so wie ich ihre Stimme verweigern, denn wenn nicht, wäre, anders als beim Privatverhältnis, meine Freiheit beschädigt, indem auch ich durch ihn vertreten würde. Doch einen Anspruch kann ich nicht geltend machen.
9. 2. 22 


Nota III. -  Und doch bleibt es immer irritierend, wenn die Rede geht, "das Sittengesetz ge-bietet...". Das Sittengesetzt gebietet jedesmal nur, dass ich aus Freiheit selbst entscheiden soll - aber doch nie, wie. Ich bestimme selber. Das Rechtsgesetzt dagegen bestimmt mir, wo meine Freiheit auf eine Grenze stößt, nämlich immer da, wo der Freiheitsraum eines andern beginnt. Es ist bereits zu viel, beide in einem Atemzug zu nennen, als wären sie aus demsel-ben Stoff.
JE 




Nota.
Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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