
Inwiefern man jene letzten Resultate des Idealismus ansieht, als solche, als Folgen des Raisonnements, sind sie das a priori,
im menschlichen Geiste; und inwiefern man eben-dasselbe, falls
Raisonnement und Erfahrung wirklich übereinstimmen, ansieht, als in der
Erfahrung gegeben, heisst es a posteriori. Das a priori und das a posteriori
ist für einen vollständigen Idealismus gar nicht zweierlei, sondern
ganz einerlei; es wird nur von zwei Seiten betrachtet, und ist lediglich
durch die Art unterschieden, wie man dazu kommt. Die Philosophie
anticipirt die gesammte Erfahrung, denkt sie sich nur als nothwendig,
und in-sofern ist sie, in Vergleich mit der wirklichen Erfahrung, a priori. A posteriori ist die Zahl, inwiefern sie als gegebene betrachtet wird; a priori
dieselbe Zahl, inwiefern sie als Product aus den Factoren gezogen wird.
Wer hierüber anders meint, der weiss selbst nicht, was er redet. /
Der Chemiker setzt einen Körper, etwa ein bestimmtes Metall, aus seinen
Elementen zu-sammen. Der gemeine Mann sieht das ihm wohl bekannte Metall;
der Chemiker die Ver-knüpfung des Körpers und der bestimmten Elemente.
Sehen denn nun beide etwas ande-res? Ich dächte nicht; sie sehen
dasselbe, nur auf eine andere Art. Das des Chemikers ist das a priori, er sieht das Einzelne: das des gemeinen Mannes ist das a posteriori,
er sieht das Ganze. – Nur ist dabei dieser Unterschied: der Chemiker
muss das Ganze erst analysiren, ehe er es componiren kann, weil er es
mit einem Gegenstande zu thun hat, dessen Regel der Zusammensetzung er
vor der Analyse nicht kennen kann; der Philosoph aber kann ohne
vorhergegangene Analyse componiren, weil er die Regel seines
Gegenstandes, die Vernunft, schon kennt.
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J. G. Fichte, Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I, S. 447; 449
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