
Wir
wollen zweitens auf das gedachte Denken sehen. Das Ich soll wählen, wie
gesetzt wird, oder (das Ich denkt) unter dem Mannigfaltigen, um sich
selbst zu bestimmen, so dass das Objekt seines Willens in der Sinnenwelt
wirklich werde. Also das Wählen setzt sich selbst voraus, es weiß es
schon, dass es wählen kann und Kausalität hat, das Ich ist also mit sich
selbst schon vollständig bekannt, es setzt sich in der Entwerfung des Zweckbegriffs voraus, dies ist hier der Hauptpunkt!
Zuvörderst
- wie setzt sich das Ich voraus, notwendig voraus in jenem Wählen? (Der
Form nach nicht, was ist es materialiter?) Das Ich selbst in diesem
Akte ist bloß Bestimmbares, nicht Bestimmtheit, es schreibt sich nicht
eine bestimmte Kausalität zu dem oder jenem Erfolg zu, sondern setzt
eine Kausalität überhaupt voraus.
Man wolle doch ja Abstraktionen und konkrete Wahrheiten [sic]
bemerken, zu erstern ge-hört der Moment, wo ein Zweckbegriff gefasst
wird. Es ist der Begriff von meiner Wirk-samkeit überhaupt, nicht
Wahrnehmung einer bestimmten Wirksamkeit. Es ist eine solche Gestalt, in
der ich mich selbst in Entwerfung des Zweckbegriffs finde.
Das Ich wird nur über/haupt
hingedacht, es ist eine abstraktes Denken, ein Schweben über
Entgegengesetzten, doch mit dem Bewusstein, dass es Entgegengesetzte
sind: so im Ent-werfen des Zweckbegriffs meiner selbst, das Denken. Aber
wies Denken ist, fällt auch sein Objekt aus, denn beides ist ja nur ein
aus verschiedenen Ansichten Verschiedenes.
_________________________________________________________
J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 190f.
Nota. - Statt konkreter Wahrheiten wird F. wohl konkrete Wahrnehmungen gemeint haben. Hier kommt es aber auf die Abstraktionen an: Diese erscheinen erst der 'idealen' Tätigkeit = Reflexion. ('Bedeutung überhaupt' gibt es nicht, es ist nur eine nachträgliche Abstraktion.)
- Das Ich setzt sich nicht schlechtweg: "Hoppla, jetzt kommt Ich!", sondern setzt sich als sich selbst vorausgesetzt; so, als ob es 'schon immer da gewesen' sei. Darum kann es sich einen wirklichen Anfang auch nicht vorstellen (und ein Ende will es sich nicht vorstellen).
Darum sind die
empirischen Iche auch so leicht dazu zu überreden, dass sie
"eigentlich" nur ein irdisches Akzidens einer überirdischen Substanz
wären: Da fühlen sie sich nicht mehr so auf sich allein gestellt. Als Jacobi
an Fichte schrieb, er bräuchte zum Leben etwas, woran er glauben kann,
meinte er weniger den heiligen Geist, der ihn ruft, als vielmehr die
sichere Hand eines Schöpfers, in der er ruht wie in Abrahams Schoß.
Das Ich setzt nicht nur
sich selbst, sondern sich selbst als seinen eigenen Schöpfer. Das ist
eine Anmaßung, und es wird ein Leben lang zu tun haben, ihr gerecht zu
werden. Doch anders kann es nicht sein eigner Herr sein.
JE, 25. 2. 17
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen