M. C. Escher aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
Es gibt zwei sehr verschiedene Standpunkte des Denkens; den des natürlichen und ge-meinen, da man unmittelbar Objekte denkt, und den des vorzugsweise so zu nennenden künstlichen, da man, mit Absicht und Bewußtsein, sein Denken selbst denkt. Auf dem ersten steht das gemeine Leben, und die Wissenschaft; auf dem zweiten die Transzenden-talphilosophie, die ich eben deshalb Wissenschaftslehre genannt habe, Theorie und Wis-senschaft alles Wissens, keineswegs aber selber ein reelles und objektives Wissen.
Die philosophischen Systeme vor Kant kannten großenteils ihren Standpunkt nicht recht, und schwankten hin und her zwischen beiden. Das unmittelbar vor Kant herrschende Wolffisch-Baumgartensche stellte sich mit seinem guten Bewußtsein in dem Standpunkte des gemeinen Denkens und hatte nichts geringeres zur Absicht, als die Sphäre desselben zu erweitern und durch die Kraft ihrer Syllogismen neue Objekte des natürlichen Den-kens zu erschaffen. [...]
Diesem System ist das unsrige darin gerade entgegengesetzt, daß es die Möglichkeit, ein für das Leben und die Wissenschaft gültiges Objekt durch das bloße Denken hervorzu-bringen, gänzlich ableugnet und nichts für reell gelten läßt, das sich nicht auf innere oder äußere Wahrnehmung gründet. In dieser Rücksicht, inwiefern die Metaphysik das System reeller, durch das bloße Denken hervorgebrachter Erkenntnisse sein soll, leugnet z. B. Kant, und ich mit ihm, die Möglichkeit der Metaphysik gänzlich. Er rühmt sich, dieselbe mit der Wurzel ausgerottet zu haben, und es wird, da noch kein verständiges und ver-ständliches Wort vorgebracht worden, um dieselbe zu retten, dabei ohne Zweifel auf ewi-ge Zeiten sein Bewenden haben.
Unser System, das die Erweiterungen wieder zurückweist, läßt sich ebensowenig einfallen, das gemeine und allein reelle Denken selbst zu erweitern, sondern will dasselbe lediglich darstellen und erschöpfend umfassen. Wir denken im philosophischen, das objektive Denken. Unser philosophisches Denken bedeutet nichts und hat nicht den mindesten Gehalt; nur das in diesem Denken gedachte Denken bedeutet und hat Gehalt. Unser philosophisches Denken ist lediglich ein Instrument, durch welches wir unser Werk zusammensetzen. Ist das Werk fertig, so wird das Instrument als unnütz weggeworfen.
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Johann Gottlieb Fichte, Rückerinnerungen, Nachfragen, Antworten in: Gesamtausgabe, Bd. II/5, S. 111-115
ders.
Nota I. - Erlauben Sie mir zwei Hervorhebungen: Erstens unterscheidet F. nicht zwi-schen gemeinem Menschenverstand und (reeller) Wissenschaft, sondern rechnet sie ausdrücklich einander zu; darüber, nämlich um eine Reflexionsebene höher, läge die Transzendentalphi-losophie.
Und zweitens lässt auch die Transzendentalphilosophie nichts anderes gelten, als was auf einer Wahrnehmung beruht. Was allein auf gedanklichen Operationen beruht, kommt für sie nicht in Betracht. Allerdings zählt er zu den Wahrnehmungen nicht allein die an äuße-ren Gegenständen, sondern auch die, die die Intelligenz an sich selber vorfindet - indem sie es nämlich selber tut.
17. 5. 21
Nota II. - Bemerken Sie auch: Nach dieser Bestimmung der Wissenschaftslehre weist Fichte ihr als alleinigen Zweck zu, das 'gemeine', aber reelle Denken zu reinigen von den 'kraft ihrer Syllogismen' durch Metaphysik erkünstelten "neuen Objekten". Wenngleich sie in ihrem zweiten Gang formal konstruktiv verfährt, handelt es sich dabei lediglich um die Wiederher stellung des von seinen dogmatischen Erweiterungen befreiten gemeinen reellen Denkens. Kritik bleibt sie in toto.
JE
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