Seinen größten Ruhm hat Hegel als Systembaumeister erworben. Doch auch darin war er nicht originell, auch darin folgte er Fichte. Die pedantischen Rationalisten vor Kant hatten wohl ebenfalls Gott und die Welt behandeln wollen, aber hatten die einzelnen Definitio-nen (aus viel mehr bestand ihre Philosophie nicht) wie Perlen nach- und nebeneinnder auf eine Schnur gezogen: jedes philosophische Fach sauber geordnet für sich. Kant hatte den Vernunftgebrauch kritisch seziert, doch empfand er bis ans Ende einen Mangel dar-in, dass er die einzelnen Stücke nicht wieder zusammengebracht hatte; sein voluminö-ses Opus postumum zeugt davon.
Das wollte nun Fichte unternehmen: nach der Analysis die Synthesis. Doch da er meinte, von den Dingen selber könnten wir nichts wissen, sondern lediglich von den Vorstellun-gen, die wir uns von ihnen machen, konnte nicht die Welt, sondern allein die uns in ihr umtreibende Vernunft Gegenstand der Philosophie sein. Als ihren Anfang hatte er einen einzigen Grund ausgemacht, und aus dem allein musste sie entwickelt werden; musste sie sich entwickelt haben. Das war es, was ihn befugte, sie als ein System darzustellen.
Während aber Fichte sein System der Vernunft vor den Augen seiner Leser (und Ohren seiner Hörer) Schritt für Schritt aus den analytisch aufgefundenen Voraussetzung ent-wickelt, setzt Hegel es seiner Darstellung stillschweigend voraus: Es ist die Plotin'sche Denkfigur vom reinen Sein, das sich im Werden von sich selbst entfremdet, um, erfah-rungsgesättigt, zu sich zurückzufinden. Ein spekulatives Dogma, das von Plotin nicht entwickelt, sondern dichterisch erzählt wird. Eine Märchenerzählung, der man Glauben schenken mag oder auch nicht.
Was Plotin bei aller Erzählkunst nicht plausibel machen kann, ist: warum sich das reine Sein leer fühlt, beziehungsweise: was es daran stört. Was fehlt ihm denn? Die Fülle könnte ihm nur fehlen, wenn es sie schon kennte. Die Vereinigung mit dem heraklitischen Wer-den war schon das Motiv des platonischen Mythos; bei Plotin wurde es durchgekaut und gargekocht.
Hegel interpoliert einen Topos aus der deutschen Mystik: die Einheit der Gegensätze. Am Anfang der Logik setzt er dem Sein ontologisch das Nichts entgegen. In dieser Einheit halten sie's natürlich nicht lange aus, und die Erzählung bekommt ein Motiv: die "Selbst-bewegung des Begriffs". Von Hause aus schlägt er in sein Gegenteil um und so weiter. Er nimmt Fahrt auf. Denken lässt sich dabei nichts, aber man kann sich davon hinreißen las-sen. Wäh-rend Kants Schreibweise in seiner kritischen Zeit dunkel war, weil er eine völlig neue Denk weise in den überlieferten Ausdrücken formulieren musste, ist Hegel absicht-lich unverständlich, weil er sattsam bekannte Topoi aus zwei Jahrtausenden aussehen las-sen musste wie brandneue Einfälle aus eigner Produktion. Bei der Lektüre schwirrt einem daher der Kopf, als hätte man indischen Hanf zu sich genommen. Denn hätte er es an-schaulich dargestellt, hätte die Trivialität nur Häme ausgelöst. Bei Kant war die dunkle Rede notgedrungen, bei Hegel war sie Absicht.
Gefällig gemacht wurde sie durch die klassisch-antike Vokabel Dialektik. Sie galt schon damals als die Kunst, ein X für ein U vorzumachen. Indem er sie sich trotzig an die Brust heftete, ging er aber in der Offensive, die Beweislast lag bei seinen eingeschüchterten Ge-genrednern. Es handelt sich dabei um den letzten, größten Ideenklau, dessen er sich schuldig gemacht hat. Hatte er sich von Plotin/Schelling den Stoff zu seinem System ge-nommen, so stahl er das Verfahren wieder von Fichte, nicht ohne es zu einem Taschen-spielertrick zu verballhornen.
Tatsächlich stammt die neuzeitliche Dialektik aus Fichtes "analytisch-synthetischem Ver-fahren", freilich mechanisiert zu einem klingenden Glasperlenspiel. Fichtes Methode war, die vorgefunden Bestimmungen analytisch zurückzuführen auf ihren 'Grund', nämlich hinter oder unter der 'allerersten' Bestimmung den Bestimmenden kenntlich zu machen und seine prädikative Qualität; doch was er auch immer bestimmen will - er kann es nur durch Entgegensetzen! So schreitet die synthetische Rekonstruktion der Vernunft zu einem System voran.
Hegel kehrt das um. Alles Bestimmte - aller Begriff - besteht aus der Einheit von Ge-gensätzen. Und so kommen wir schließlich zur pp. Dialektik als heimliche Selbstbewe-gung des Begriffs, der 'sich setzt' und 'entgegensetzt', 'umschlägt' und sich eine Stufe höher "in dreifacher Bedeutung" aufhebt. Man kann sich dabei nichts denken. Doch man kann dazu auf den Fußspitzen wippen.
Was aber die Rückabwicklung der Kopernikanischen Wende zur Vollendung bringt, ist seine Naturdialektik. Ganz ungeniert werden die Gesetze der Natur wieder wie bei Wolff und Baumgarten mit den Gesetzen der Vernunft identifiziert und eine ganze Welt aus Be-griffen erbaut. Allerdings nicht entwickelt. Seine Naturlehre besteht mehr aus veranschau-lichenden Beispielen als aus systematischer Konstruktion, und wenn sich ein Naturphäno-men partout nicht ins Korsett der Selbstbewegung des Begriffs fügen will, quittiert er es souverän mit tant pis pour la nature. Schließlich hätte ihn auch unter den Menschen, wie er abschließend bemerkt haben soll, nur einer wirklich verstanden, doch "auch der ver-stand mich nicht".
So hinterließ er seinen Adepten überreichlichen Stoff für ihre Exegesen, und der reichte für ein gutes Jahrzehnt. Doch dann fiel Gebäude geräuschlos zusammen, und hätten nicht die Junghegelianer so einen Lärm gemacht, hätte es das Publikum schon gar nicht mehr bemerkt. Es ist eine Tatsache, dass in der Folge die Philosophie nahezu in den Unter-grund verbannt war, und jeder Gedanke an ein philosophisches System ist unwiderruflich diskreditiert.
Allerdings nur bei denen, die von der Geschichte des Denkens etwas wissen und wissen wollen. Die sich in der Philosophie heute unbefangen Systematiker nennen, wissen nichts und wollen nichts wissen.
JE 29. 8. 20
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
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