aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik
Ich beweise jemandem etwas heißt, ich bringe ihn dazu, dass er annehme, dass er irgend-einen Satz schon zu-gegeben habe, indem er die Wahrheit irgendeines anderen vorher zugegeben hatte. Jeder Beweis setzt also bei dem, dem er bewie-sen werden soll, schon etwas Bewiesenes voraus, und zwei, die über nichts einig sind, können einander auch nichts beweisen.
Da nun die Wissenschaftslehre beweisen will die Gesetze, nach denen das endliche Ver-nunftwesen bei Hervorbringung seiner Erkenntnis verfährt: so muss sie dies an irgend et-was anknüpfen, und da sie unser [Wissen?] begründen will, an etwas, das jedermann zugibt. Gibt es so etwas nicht, so ist systematische Philosophie unmöglich.
_________________________________ _______________ J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 6f.
Nota I. - Das ist das Verfahren der Wissenschaftslehre: Statt freihändig Begriffe zu defi-nieren und daraus ein System zu bauen, sucht sie in den wirkliche Vorstellungen der 'endlichen' Vernunftwesen die ihnen zu Grunde liegenden anschaulichen Voraussetzun-gen auf, und erst, wenn sie an den Punkt gerät, hinter den es nicht hinausgeht, kehrt sie ihren Gang um und setzt, was sie zuvor analytisch auseinandergelegt hatte, synthetisch wieder zusammen; daran, ob auf diesem Weg die wirkliche Vorstellungswelt der 'endli-chen Vernunftwesen' hinreichend rekonstruiert werden kann, entscheidet sich ihre Richtigkeit.
Nota II. - '... dass er aus Überzeugung und aus Gründen seinem Bewusstsein glaubt, wie er es vorher aus Vernunftinstinkt tat' [ebd.]: Die Vernunft kam zuerst, Vernunftkritik kam danach.
Der gesunde Menschenverstand vertraut der Vernunft, weil sie ihm durch Dienste, die sie täglich leistet, ihre Zuverlässigkeit beglaubigt. Zur Kritik gibt es im geschäftigen Alltag keinen Anlass. Anders ergeht es den Gelehrten. Sie begnügen sich nicht mit der Einsicht, dass etwas ist, sondern wollen wissen, warum.
Dem gesunden Menschenverstand liegt es klar und deutlich vor Augen, dass er alles, was er weiß, aus Erfahrung weiß. Der harte Kern der Erfahrung ist die Beobachtung, dass dieses nicht zufällig, sondern mit Notwendigkeit aus jenem folgt. Und just an diesem Kern muss der gesunde Menschenverstand, wenn er nur soviel Skepsis walten lässt wie bei seinen Geldgeschäften, einsehen, dass er gerade dies nicht "aus Erfahrung" weiß. Be-obachten kann er vorher und hinterher; aber wegen kann er weder sehen noch betasten, weder hören, schmecken oder riechen.
Das war der Punkt, an dem Kants Kritik ansetzte.
aus Es gibt kein Wissen ohne Voraussetzung, 18. 10. 20
Nota III. - Der Satz 'Ich weiß' kann vernünftigerweise nur ausgesprochen werden, wenn ich das, was ich weiß, so begründen kann, dass kein vernünftiges Wesen seine Richtigkeit bestreiten kann.
Das beweist nicht seine Wahrheit, sondern eben nur: dass er vernünftig ist. Das ist eine Tautologie. Vernunft kann sich nur immanent rechtfertigen, weil sie immanent begründet ist.
JE
Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen