Was ist die Vernunft? Die intelligible Welt - Vernünftigkeit ist die Teilhabe daran.
Nur als intelligible ist uns eine Welt 'gegeben': als Datum unserer Vorstellungen. – Die Daten, die unsere Sin- neszellen als Gefühl vermelden, werden in der Anschauung zum Bild. Die Anleitung, wie dieses Bild in der Vor- stellung ohne Beihilfe der Sinnlichkeit wiederherzustellen ist, ist der Begriff. Im Begriff werden die sinnlichen Dinge intelligibel. Nichtsinnliche Begriffe sind Noumena, sie sind intelligibel = Weil sie intelligibel sind, sind sie apriori. Nehme ich die intelligible Welt als gegeben und nicht als gemacht - das tut der Dogmatiker -, ist alles apriori.
Die WL betrachtet die wirkliche Vorstellungstätigkeit der Menschen unter der Fragestel-lung, wie daraus eine Welt entstehen konnte, in der die Intelligenzen miteinander verkeh-ren können: wie ein System von Begriffen möglich ist. Sie führt die vorstellende Tätigkeit auf ihren Ausgangspunkt ('Tathandlung') zurück, um von dort aus "vor unseren Augen" die intelligible Welt zu rekonstruieren. Sie ist die Vorgeschichte der Vernunft.
Das ist der transzendentale Teil der Wissenschaft = Philosophie.
Die reale Geschichte der Vernunft beginnt mit der intelligiblen Welt selbst: in dem Mo-ment, wo historische Individuen zu Vernunftwesen werden. Dies geschieht erst in dem Akt ihrer Begegnung und ihrer wechselseitigen Anerkennung als Freie. Da sie es taten, muss man ihnen das Vermögen zusprechen, dass sie es konnten.
Die Versammlung einer 'Reihe vernünftiger Wesen', die Bildung einer intelligiblen Welt und die Entstehung der Vernunft sind dasselbe.
24. 7. 15
Dass die Vernunft historisch wurde, bedeutet nichts anderes, als dass sie real wurde. Dass die Reihe vernünftiger Wesen real wurde, bedeutet nichts anderes, als dass sie historisch geworden sind.
Die Stelle, an der in der Wissenschaftslehre an das bis dahin lediglich vorstellend 'real-tätige' Ich seitens der Reihe vernünftiger Wesen die pp. Aufforderung ergeht, gleich ihnen reale Zwecke zu setzen, ist der Punkt, wo in das System die Sinnenwelt hineinkommt.
Man möchte sagen, bis dahin hätten sich die Fortschritte des bestimmenden Vermögens lediglich im intelligiblen Reich zugetragen; aber das wäre schief, denn eine solche Unter-scheidung war bislang noch gar nicht zu treffen. Das Gefühl, das dem soeben sich set-zenden Ich die Gegenständlichkeit des NichtIch verbürgt, wird in der Anschauung - der ursprünglichsten Reflexion und ergo idealen Tätigkeit - bestimmt als der auf eine primä-re reale Tätigkeit des Ich erfolgende Widerstand. Doch erst noch ist von Tätigkeit-über-haupt die Rede, unbestimmter Tätigkeit, die als unbestimmte unmöglich sinnlich sein kann - doch darum noch lange nicht als intelligibel bestimmt ist.
Man kann es gar nicht dick genug unterstreichen: Mit der Aufforderung durch die Reihe vernünftiger Wesen tritt die Wissenschaftslehre über in die historisch gegebene Welt von Raum und Zeit.
30. 5. 19
Fichte ist sich in diesem Punkt nie in wünschenswerter Weise klar geworden. In seiner Programmschrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre stellt er letztere dar weniger als die Vollendung der Kant'schern Kritik denn als eine positive Grundlegung aller denkbaren Wissenschaften. Einer jeden im Einzelnen? Fast hat es diesen Anschein, freilich erst sehr allgemein formuliert. Doch noch in der WL nova methodo gibt er zum Schluss einen Ab-riss der philosophischen Arbeiten, die er noch vorhat - und das sind ausdrücklich die Grundlegungen der positiven Wissenschaften in specie; fürs Naturrecht und die Sittenlehre meinte er, diese Arbeit schon geleistet zu haben. Doch in beiden hat er, auf je verschiedene Art, die kritische Vorgehensweise am entscheidenden Punkt übertreten und auf unbegrün-dete Art ins Positive überdehnt. Während das im Fall des Naturrechts nur irreführend war, ist es im Fall der Sittenlehre direkt falsch.
15. 1. 20
Postscriptum. Es wird dem Leser aufgefallen sein, dass ich mich immer wieder an kurzge-fassten Zusammenfassungen des Gesamtsystems der Wissenschaftslehre versuche und die philologischen Einzelheiten nach meiner Abschrift der WL nova methodo so knapp halte, wie es vertretbar ist. Weil mir daran gelegen ist, meine Leser immer wieder an den syste-matischen Charakter der Transzendentalphilosophie zu erinnern? Ich habe mich, um die Einzelheiten zu verstehen, ja selber immer wieder daran erinnern müssen!
Es liegt in der Sache selbst, dass dabei immer wieder dieselben Grundgedanken variiert werden. Manche Variante wird mir besser gelungen sein als manche andere. Und manches scheint manch anderem vielleicht zu widersprechen. Das kann aber in einem System kaum anders sein. Die Idee, an Begriffen so lange herum zu definieren, bis keine Meinungsver-schiedenheit mehr möglich ist, kann nur einem kommen, der sich unter einem System noch nie etwas vorgestellt hat.
JE
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen