Sonntag, 21. August 2022

Globale Kunstgeschichte?

aus spektrum.de, 19. Aug 2022                                                                                                            zu Geschmackssachen
                                                       
Globale Kunstgeschichte
Seit zwei Jahrhunderten arbeitet sich die Wissenschaft der Kunstgeschichte an der Herausarbeitung regionaler Schulen, der Identifikation des einzelnen Künstlergenies und dessen Scheidung von Nebenfiguren, an der Authentifi-zierung eines Originals, also schlichtweg an dem Einzigartigen und Besonde-ren ab. Man kann darin einen Spiegel eines europäisch geprägten Gesell-schaftsmodells sehen, in der das Individuum und – auf höherer Ebene – die Nation die zentralen Ideen sind.

Von Eva Bambach 

Aber vielleicht gar nicht mal anders als in den Wirtschaftswissenschaften die Heraus-stellung der Leistung des einzelnen Unternehmers der Wahrnehmung des Anteils aller Stakeholder zunehmend Raum gibt, so ist in den letzten Jahren auch in der Kunstge-schichte ein Wandel zu erkennen. Vor gut zehn Jahren wurde in Heidelberg der erste Lehrstuhl für Globale Kunstgeschichte eingerichtet – als erster und bislang einziger in Deutschland. Es gibt – bislang wenige – parallele Einrichtungen, etwa in den Niederlan-den und England. Doch schon seit einigen Jahren greifen Sonderausstellungen der Muse-en und Weltausstellungen wie die documenta (nicht immer glücklich) den Gedanken auf, dass globalen und transkulturellen Zusammenhängen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.

Die Globale Kunstgeschichte ist auch in den Führungspositionen deutscher Museen angekommen: Die in Heidelberg geschulte Kunsthistorikerin Noura Dirani übernimmt im Oktober 2022 die Leitung der Lübecker Kunsthalle. Sie hat nicht nur in Heidelberg studiert und am Lehrstuhl gearbeitet, sondern auch entsprechende Ausstellungserfahrungen gesammelt, als sie in Dresden als Kreativleitung des Japanischen Palais einige aufsehenerregende, weil aus dem typischen Museumsmuster ausbrechende Ausstellungen organisierte.

Ab Oktober 2022 ist Noura Dirani Leiterin der Kunsthalle St. Annen in Lübeck. Doch wird die Aufgabe natürlich nicht nur in Lübeck erkannt. In Berlin zum Beispiel läuft derzeit kuratiert von einem indigenen Kuratorium die Ausstellung “Songlines: Sieben Schwestern erschaffen Australien” – im Humboldt Forum, das sich noch mehr als andere Ort der Frage stellen muss, wie die überlieferte Scheidung zwischen Ethnologie und Kunstgeschichte überwunden werden kann.

Es ist kein Zufall, dass die Wissenschaft der Kunstgeschichte ihre Entstehung dem 19. Jahrhundert verdankt. Mit der Einführung von Nationalstaaten suchte man nach einheitlichen Merkmalen, wie der Sprache oder eben der Kunst, um sich von anderen Gesellschaften abzugrenzen. Die imperiale Expansion Europas erreichte mit neuen Kolonien in Asien und insbesondere Afrika einen neuen Höhepunkt.

Auf die Kunstgeschichte hatten die damit verbundenen Fragestellungen einen bis heute reichenden entscheidenden Einfluss. Schon seit den 1980er-Jahren etwa gab es Entwicklungen, mit dieser Prägung kritisch umzugehen. Doch auch, wenn die Grenzen um die Forschungsgegenstände der Kunstgeschichte fließender werden, sind die damit verbundenen methodischen Probleme enorm.

Symptomatisch für die Asymmetrie unserer Welt ist schon allein, dass der internationale Austausch meist in europäischen Sprachen stattfindet. Und wie kann eine systematische Forschung aussehen, die nicht von den Begriffen und kanonischen Kategorien der europäischen Kunstgeschichte ausgehen möchte? Alltagskultur ist zum Beispiel eines der Themenfelder, die neu in den Fokus geraten müssen. Und wie befreit man die museale Präsentation etwa von afrikanischer Kunst in Europa von ihrer kolonialhistorischen Prägung? Das 2006 eröffnete Musée du quai Branly in Paris etwa versucht sich mit einer ausschließlich nach ästhetischen, nicht ethnologischen Gesichtspunkten arrangierten Dauerausstellung afrikanischer, asiatischer, indianischer und ozeanischer Objekte. Abgesehen von der auch in Bezug auf dieses Haus heftig umkämpften Frage nach der Rechtmäßigkeit des Erwerbs der einzelnen Ausstellungsstücke macht schon allein das Konzept dieses Museums mit seiner immanenten Unterscheidung des „Westens und des Rests“ das Problem deutlich, das unweigerlich im Zentrum jeder global gedachten Kunstgeschichte steht. 


Nota. - "Der Westen und der Rest" - das klingt im ersten Moment problematisch, weil historisch uninformiert und unkritisch. Doch nach kritischer Durchforstung erweist es sich vielleicht immerhin als Fragestellung nützlich - nicht erst aus Trotz wegen documenta 15.

In welcher Absicht kann man überhaupt Kunstgeschichte schreiben, und eine globale zumal? Lesen mag man sie aus den diversesten Motiven, doch dafür mussten sie zuerst geschrieben und - vor allen Dingen auch gedruckt werden.

Im 19. Jahrhundert kam die Kunstgeschichte also auf, um die europäischen Nationen gegeneinander zu profilieren. Ein ausgesprochener Renner unter deutschen Jugendlichen war am Jahrhundertende das Buch des Rembrandtdeutschen, das freilich mehr Weltan-schauung enthielt als Kunstgeschichte. Doch die Neigung zur Ideologisierung liegt in diesem Fach selbst begründet. Wie soll man etwa über den explosiven Aufschwung der holländischen Malerei und insbesondere der Landschaftskunst reden, ohne das "Goldene Zeitalter" zu erwähnen und die Entstehung einer Nation aus dem Befreiungskrieg?


Den Hang zum Exotischen hat Europa aus derselben Zeit, dem 17. Jahrhundert, und dass nordamerikanische und afrikanische Volkskunst bis heute Neugier erregt, macht es in po-litisch korrekten Zeiten selbstverständlich, an eine Globalgeschichte der "Kunst" zu glau-ben. Der Pfusch, der auf der jüngsten documenta zu internationaler Berühmtheit gekom-men ist, setzt allerdings ein großes Fragezeichen.

Eine globale Wirtschaftsgeschichte hat insofern Sinn, als wir es heute mit einer globalen Wirtschaft zu tun haben. Das war nicht immer so, sondern ist entstanden durch die jahr-hundertelang fortschreitende Verflechtung regionaler zu nationalen, und der  nationalen Märkte zu einem Weltmarkt. Das Ergebnis sind internationale Standards.

Etwas Vergleichbares hat es in der Kunst nicht gegeben. Ein übernationaler Kunstmarkt hat sich im 20. Jahrhundert zwischen Europa und Nordamerika etabliert, und wenn man an ihm eine Dynamik erkennen kann, dann ist es die von einem gemeinsamen europäi-schen Ursprung in Düsseldorf und Paris über eine gemeinsame amerikanische Nach-kriegszeit zu einer weltweiten Beliebigkeit, zu der jetzt auch postkolonialer Schmarrn Zugang finden - nicht weil ein weltweiter Geschmack dahin geführt hätte, sondern ge-schmacksfreie Geldflüsse. Doch der Geschmack mag ihnen folgen, achje.

Anders als die Wirtschaft hat die Kunst nicht zu weltweiten Standards geführt, weil sie keine weltweite Substanz hat. Die Erzeugnisse der Wirtschaft konnten schließlich weltweit vermarktet werden, weil sie letzten Endes alle irgendwo von irgendwem gebraucht wer-den: Es sind Lebensmittel, auf die keiner dauerhaft verzichten kann. Darum haben sie einen Wert. Die Erzeugnisse der Kunst mögen diesem gefallen und jenem nicht - wirklich brauchen tut sie keiner. Weltweit gültige Maßstäbe können sich nur ausbilden, wo unabläs-sig alles getauscht werden muss.

Wenn aber Kunst nicht als originärer Teil des Wirtschaftens aufgefasst erden kann, was ist sie dann? Das wurde jahrhundertelang versucht: Kunst zu definieren durch die Merkmale ihrer Werke. Dass sollten, mag man meinen, ästhetische sein. Kunst bringt Dinge hervor, die gefallen - "ohne Interesse", sagt Kant; nämlich ohne spezifische Nützlichkeit (und wenn sie eine solche doch aufweisen, wird gleich ihre Qualifizierung als Kunst strittig)

Und das hat es wohl gegeben, seit es Menschen gab. Nämlich so, dass die Definition des Menschen von der Paläanthropologie nicht zuletzt daran gemessen, ob sie - Kunst her-vorbrachten. Zu allererst nämlich als Schmuck und Körperbemalung. Ob sie aber nicht wohl auch andere Zwecke hatte - kultische oder ethnische -, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Die frühesten Höhlenmalereien wäre ohne solche wohl nicht entstanden. Das ästhetische Gefallen mag immer nur verzichtbare Zutat gewesen sein.

Man müsste annehmen dürfen, die ästhetisch ausgezeichneten 'Arte'fakte wären vor-nehmlich oder womöglich nur um des Gefallens willen zustande gekommen. Das könnte man aber dem individuellen Werk unmöglich ansehen. Man müsste schon Werkgruppen identifizieren können, von denen man aus außerästhetischen, d. h. irgendwie kollektiven, nämlich gesellschaftlichen Bestimmungen... als geschmacklich bedingt ansehen könnte; genauer gesagt: durch ihr allmähliches Ausscheiden aus gesellschaftlichen Zusammen-hängen als 'Kunst' unterscheiden kann.

Das lässt sich offenbar aber nur retrospektiv und sozialhistorisch bewerkstelligen. Näm-lich aus dem Faktum heraus, dass irgendwo irgendwann eine Werksgattung entstanden ist, die sowohl seitens ihrer Verfertiger als auch seitens ihrer Liebhaber allein des Gefallens willen geschaffen wurde. Genauer gesagt, als und weil irgendwann irgendwo eine Kunst um der Kunst willen zur Welt gekommen ist.

Und das war gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Europa und Nordamerika. Anders gesagt, eine Kunst geschichte ist überhaupt nur aus westlicher Perspektive mög-lich. Voraussetzung ist ein Idealtyp von "Kunst", der als Maßstab für den Rest der Welt gelten kann.

Ja, das habt Ihr davon, dass Ihr postkolonial alles in einen Topf rühren wolltet.
JE




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