Donnerstag, 25. August 2022

Dreißigster Jahrestag.

 Rostock-Lichtenhagen, August 1992
aus welt.de, 25. 8. 2022                                                                                                       zu öffentliche Angelegenheiten

Auch die politischen Reaktionen auf Rostock-Lichtenhagen waren ein Skandal
Vor 30 Jahren erlebte Rostock-Lichtenhagen schwere rassistische Aus-schreitungen. Das war der Sozialisierung der Menschen in der DDR geschul-det. Doch auch die Reaktionen der Politik im Westen waren skandalös. Weil vor allem die CDU zu lange an einer alten Lebenslüge festhielt.

Von Thomas Schmid

Etwa 3000 Bürgerinnen und Bürger Rostocks applaudierten, als vor 30 Jahren ein Mob versuchte, ein Wohnheim von Asylbewerbern in Brand zu setzen. Es war der reine Zufall, dass niemand ums Leben kam. Damals wurde deutlich, was bis heute in Zweifel gezogen wird: Der Hass auf Ausländer ist nicht nur, aber vor allem ein ostdeutsches Phänomen. Dies ist nicht zuletzt ein Erbe zweier Diktaturen, die aufeinanderfolgten.

Wie es einen Antisemitismus ohne Juden gibt, so gibt es auch lodernde Fremdenfeindlich-keit ohne Fremde. In der DDR lebten kaum Migranten, und wenn, dann wurden sie abge-schirmt. Das Regime hatte seine Bürger zu Hinterwäldlern gemacht und ihnen eine Er-fahrung vorenthalten, die fast alle offenen Gesellschaften teilen: die bereichernde wie be-lastende Erfahrung der Einwanderung. Noch heute liegt dieser Mangel schwer auf den ostdeutschen Ländern.

Der Westen der Republik wurde seit den späten 1950er-Jahren durch eine starke Einwan-derung verändert. Die Politik aber – genauer: CDU und erst recht CSU – wollte das lange nicht wahrhaben. Wolfgang Schäuble blieb damals stur dabei, Deutschland sei kein Ein-wanderungsland

Die politischen Reaktionen auf Rostock-Lichtenhagen fielen skandalös aus. Während Ausländer dort noch mit dem Leben bedroht wurden, hatten Bundesinnenminister Rudolf Seiters und die damals schon moralstarke Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth nichts Besseres zu tun, als nun erst recht eine zügige Verschärfung der Asylgesetzgebung zu fordern.

Worte des Mitgefühls für die Opfer kamen ihnen und vielen anderen nicht über die Lip-pen. Dass Deutschland sich so spät als Einwanderungsland selbst anerkannt hat, ist we-sentlich eine Schuld der Union. Es sollte nicht vergessen werden.

Nur eine offene Gesellschaft kann mit Einwanderung leben und umgehen. Eine Gesell-schaft also, die weder die Gleichheit aller noch das Paradies auf Erden verspricht. Und in der die Politik nicht dem bürokratischen wie anmaßenden Glauben anhängt, Gesetze zur Förderung von Demokratie könnten dieselbe wetterfest machen.


Nota. - Die Kanzlerin, die 2015 sagte, wir schaffen das, die vielen Flüchtlinge aufzuneh-men, war dann allerdings auch von der CDU, und Schäuble hat ihr immerhin den Rücken freigehalten.
JE


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Noumena.*

                                        zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik    Ein Begriff, der uns in die intelli...