Freitag, 5. August 2022

Die Schiefe Schlachtordnung und der Verfall des klassischen Hellas.

 Schiefe Schlachtordnung
aus welt.de, 5. 8. 2022

Um Spartas Hegemonie über Griechenland zu sichern, ging 371 v. Chr. ein Heer gegen Theben vor. Dagegen entwickelte der Feldherr Epaminondas eine innovative Taktik. Bei Leuktra fanden Hunderte spartanische Vollbürger den Tod.

Fast 30 Jahre hatte der Peloponnesische Krieg (431–404) gedauert, in dem Sparta seine Rivalin Athen endgültig niedergekämpft und die Hegemonie über Griechenland erlangt hatte. Kaum länger konnte die Stadt ihre Vormachtstellung behalten. In Theben in Böotien erwuchs der Militärmacht unvermutet ein Gegner, der es wagte, Spartas gefürchtete Berufssoldaten herauszufordern. Das Mittel dazu hatte ein gewisser Epaminondas (ca. 418–362) entwickelt. Am 5. August 371 v. Chr. forderte er damit das spartanische Heer bei Leuktra heraus.

Epaminondas entstammte einer angesehenen aber wenig vermögenden Familie Thebens. Er soll eine umfassende Ausbildung erhalten haben, ein pythagoreischer Philosoph soll sein Lehrer gewesen sein, was möglicherweise den pragmatischen Umgang mit Zahlen erklären würde. Der römische Historiker Cornelius Nepos hat Epaminondas im 1. Jahrhundert v. Chr. eine Biografie gewidmet:

„Er war maßvoll, klug, bedachtsam, wusste die Zeitverhältnisse weise zu nutzen, war kriegskundig, persönlich tapfer, äußerst mutvoll und so wahrheitsliebend, dass er nicht einmal im Scherz eine Unwahrheit sagte. Ebenso war er Herr über sich selbst, sanft und duldsam bis zu einem bewunderungswürdigen Grad, gleichgültig bei Beleidigungen nicht nur von Seiten des Volkes, sondern auch seiner Freunde, vor allen ein treuer Bewahrer anvertrauter Geheimnisse, eine Tugend, die bisweilen nicht weniger Nutzen bringt als Beredsamkeit, und eifrig im Zuhören, da er meinte, dass man sich so am leichtesten unterrichte.“

Eine Probe seines persönlichen Muts bewies Epaminondas auf einer militärischen Expedition 385 v. Chr., als er, obwohl verwundet, seinen Kameraden Pelopidas rettete. Beide wurden zu Architekten der thebanischen Großmacht.

Im Grunde herrschte unter der spartanischen Hegemonie ein Krieg jeder gegen Jeden in Griechenland. Nur mit Mühe konnte Sparta seinen Machtanspruch gegen wechselnde Koalitionen behaupten. Sein wichtigster Verbündeter wurde dabei das Persische Weltreich, mit dessen Gold Sparta bereits die Flotte gebaut hatte, die Athen schließlich bezwingen konnte. Um sich auf Griechenland beschränken zu können, wurde im „Königsfrieden“ von 387/6 dem Großkönig die Herrschaft über die Griechen Kleinasiens zugestanden. In Hellas selbst wurde die Autonomie jeder Polis (Stadtstaat) zur Regel gemacht.

Das bedeutete, dass der Böotische Bund, in dem Theben die Führungsrolle spielte, aufgelöst werden musste. In zahlreichen Städten installierte Sparta oligarchische Regime, die von der Protektion seiner Waffen abhängig waren. Für einige Jahre gelang es den Spartanern sogar, sich auf der Kadmeia, der Burg von Theben, festzusetzen.

>Zu jenen, die an der Vertreibung dieser Garnison beteiligt waren, gehörte auch Epaminondas. In der Folge wurde der Böotische Bund wiederhergestellt, was Sparta als offene Herausforderung verstehen musste. Inzwischen zu einem der Bötarchen gewählt – Beamte, denen mit der Exekutive des Bundes auch dessen Kriegführung oblag – verweigerte sich Epaminondas 371 auf einem Friedenskongress in Sparta allen Auflösungsforderungen. Nur wenige Wochen später fiel dessen König Kleombrotos II. in Böotien ein.

Das spartanische Heer zählte gut 10.000 Mann, darunter rund 700 Vollbürger; das Gros bildeten Bürger minderen Rechts, Söldner und Verbündete. Dagegen konnte Theben nur 7000 Kämpfer aufbieten, die in dem Bewusstsein aufmarschieren mussten, dass das versammelte spartanische Heer in den vergangenen 200 Jahren keine große Feldschlacht verloren hatte

Der griechische Historiker Xenophon, ein Zeitzeuge, der als Söldnerführer und früherer Offizier in spartanischen Diensten die militärischen Verhältnisse genau kannte, hat Epaminondas’ Schlachtplan bei Leuktra präzise beschrieben.

Danach massierte der Thebaner seine besten Truppen auf dem linken Flügel. Im Kern handelte es sich um die Heilige Schar, die von Pelopidas befehligt wurde. Diese Truppe bestand aus 150 schwulen Paaren, deren Beziehungen für einen besonderen Zusammenhalt sorgen sollten.

Mit einer „Tiefe von nicht weniger als fünfzig Schilden“ war dieser Flügel seinem spartanischen Widerpart deutlich überlegen, der „nur auf eine Tiefe von nicht mehr als zwölf Mann“ kam, schreibt Xenophon. Damit gewann Epaminondas, obwohl in Unterzahl, an einem Schwerpunkt der Schlacht ein Übergewicht.

Die griechische Phalanx war eine tief gestaffelte Linie schwer gepanzerter Fußsoldaten. Während die ersten Reihen kämpften, kam den hinteren die Aufgabe zu, sie gegen den Feind zu drücken. Indem er seine Flügel unterschiedlich stark machte, schuf Epaminondas die sogenannte „Schiefe Schlachtordnung“ mit der zwei Jahrtausende später Friedrich der Große seinen berühmtesten Sieg erringen sollte

Kleombrotos machte es den Thebanern leicht. Siegesgewiss und weil er und seine Unterführer zu Mittag „ziemlich viel getrunken hatten“, stellte er seine Reiterei vor seiner Phalanx auf. Wie bei griechischen Heeren üblich, war die Kavallerie kaum geübt, die spartanische wohl noch weniger als ihr Gegner. Ungestüm gerieten beide ins Gefecht, bevor Kleombrotos den Befehl zum Vormarsch gegeben hatte. Seine Reiter wurden geschlagen, fluteten zurück und sorgten damit für Unordnung in der Phalanx.

Gegen deren rechten Flügel ging nun der verstärkte linke Flügel der Thebaner vor. Hier hatte Kleombrotos den Oberbefehl und leistete verbissenen Widerstand. Aber nachdem er gefallen war und seine Männer versuchten, seinen Leichnam zu retten, löste sich die spartanische Phalanx auf und wandte sich zur Flucht. 1000 Spartaner, darunter 400 Vollbürger fanden den Tod.

Das war das Ende der spartanischen Hegemonie über Griechenland. Ab dem folgenden Jahr trug Epaminondas den Krieg bis vor die Tore Spartas. Seine Staatssklaven in Messenien* wurden befreit, viele seiner Bundesgenossen, die sich lange der Übermacht der Militärmacht gebeugt hatten, erhielten ihre Freiheit. Oligarchische Regime wurden gestürzt.

Solange Epaminondas lebte, konnte Theben seine Hegemonialstellung sichern. Als 362 v. Chr. Sparta im Bund mit Athen und anderen, den Spieß umzudrehen, konnte er Teile der Stadt erobern. Er siegte bei Mantineia über die Koalition, wurde aber selbst getötet. Damit verlor Theben den Mann, der die begrenzten Ressourcen der Stadt so virtuos einzusetzen gewusst hatte. Von da an sollte es bis zum Aufstieg der Makedonen keinen Hegemon über Griechenland mehr geben.
*) die Heloten.


Nota. - Die 'Einheit' des klassischen Hellas bestand aus der Menge von Stadtstaaten - mit Sparta als einzigem Flächenstaat, der nicht einmal einer Stadt hatte -, in der ein unab-lässiger Kampf um die Vorherrschaft stattfand. Der Sieg Spartas über Athen und dessen Verbündete war ein Sieg über die Poleis. Und damit das Ende des klassischen Griechenlands. Ionien und die Kolonien in der süditalienischen Magna Graeca  hatten nie recht dazugehört.
JE

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