Donnerstag, 20. November 2025

Der Glaube an die Wirklichkeit der Welt.

                              aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

5) Der Widerspruch ist leicht zu vereinigen. Das producirende Ich wurde selbst als leidend gesetzt, so auch das gefühlte in der Reflexion. Das Ich ist demnach für sich selbst in Bezie-hung auf das Nicht-Ich immer leidend, wird seiner Thätigkeit sich gar nicht bewusst, noch wird auf dieselbe reflectirt. – Daher scheint die Reali/tät des Dinges gefühlt zu werden, da doch nur das Ich gefühlt wird.

(Hier liegt der Grund aller Realität. Lediglich durch die Beziehung des Gefühls auf das Ich, die wir jetzt nachgewiesen haben, wird Realität für das Ich möglich, sowohl die des Ich, als die des Nicht-Ich. – Etwas, das lediglich durch die Beziehung eines Gefühls möglich wird, ohne dass das Ich seiner Anschauung desselben sich bewusst wird, noch bewusst werden kann, und das daher gefühlt zu seyn scheint, wird geglaubt. – An Realität überhaupt, sowohl die des Ich, als des Nicht-Ich, findet lediglich ein Glaube statt.) ______________________________________________________________________
J. G. Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Siebenter Lehrsatz, Hamburg 1979, S. 217f. 

 
Nota. - Entgegen einer landläufigen Auffassung lehrt der Fichte'sche Kritische Idealismus keineswegs die Irrealität der Welt; und nicht einmal, dass man 'darüber nichts wissen kann'. Er lehrt jedoch, dass die Frage selbst in wissenschaftlichem Verständnis ohne Sinn ist. Denn unser Wissen besteht lediglich aus dem, was in unserem Bewusstsein vorkommt - egal, ob wahr oder falsch. Und in unserem Bewusstsein kommen keine Dinge vor, sondern nur Vorstellungen. Wissenschaftlich sinnvoll ist lediglich die Frage, wie wir dazu kommen, einigen unserer Vorstellungen eine Existenz auch außerhalb unseres Bewusstseins zuzu-schreiben und andern nicht; und warum wir glauben, beides unterscheiden zu können. 

Der Sinn dieser Frage liegt auf der Hand. Wenn wir für unsere Annahme überzeugende - uns überzeugende, wen denn sonst? - Gründe finden, dürfen wir vorläufig in unserm Han-deln darauf bauen. Doch wenn nicht, wäre all unser Tun ein bloßes Glücksspiel, und der Weise wäre nicht besser dran als der Narr.

Wenn ja, können die so gewonnen Unterscheidungsmerkmale uns im weiteren Verlauf dabei dienen, falsch und richtig voneinander zu scheiden - und begründet und unbegründet.

Dass wir aber an die Wirklichkeit der Welt glauben, ist die Voraussetzung unseres Zusam-menlebens in der Welt; und daher die Voraussetzung der Vernunft.
JE,
23. 10. 18



Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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