Freitag, 30. Dezember 2022

Form und Stoff.

 Giuseppe Sanmartino                                                                      aus Marxiana                               

Im Arbeitsproceß tritt der Arbeiter als Arbeiter in ein normales, durch die Natur und den Zweck der Arbeit selbst bestimmtes thätiges Verhältniß zu den Productionsmitteln. Er eignet und behandelt sie als blosses Mittel und Material seiner Arbeit. Die selbstständige, an sich  fest- / haltende und ihren eignen Kopf habende Existenz dieser Productions-mittel, ihre Trennung von der Arbeit, wird jezt thatsächlich aufgehoben. Die gegenständ-lichen Bedingungen der Arbeit treten in ihrer normalen Einheit mit der Arbeit, als blosse Materie und Organe ihres schöpferischen Wirkens auf. 

Das Fell, das der Arbeiter gerbt, behandelt er als blosen Gegenstand seiner productiven Thätigkeit, nicht als Capital. Er gerbt nicht dem Capitalisten die Haut. So weit der Pro-ductionsproceß blos Arbeitsproceß ist, verzehrt der Arbeiter in diesem Prozeß die Pro-ductionsmittel als blosse Lebensmittel der Arbeit. So weit aber der Productionsproceß zugleich Verwerthungsproceß ist,
verzehrt der Capitalist in ihm das Arbeitsvermögen des Arbeiters oder eignet sich die lebendige Arbeit als Lebensblut des Capitals an. Das Roh-material, überhaupt der Arbeitsgegenstand, dient nur dazu, fremde Arbeit einzusaugen und das Arbeitsinstrument dient nur als Conductor, Leiter für diesen Einsaugungsprozeß.

Indem das lebendige Arbeitsvermögen den gegenständlichen Bestandtheilen des Capitals einverleibt ist, wird dieß zu einem belebten Ungeheuer, und fängt an zu wirken „als hätt' es Lieb' im Leibe“. Da die Arbeit blos in einer bestimmten nützlichen Form Werth schafft und da jede besondre nützliche Art Arbeit Material und Mittel von spezifischem Gebrauchs-werth erheischt, Spindel und Baumwolle u. s. w. für die Spinnarbeit, Amboß, Hammer und Eisen für die Schmiedearbeit u. s. w., kann die Arbeit nur eingesaugt werden, soweit das Capital die Gestalt der für bestimmte Arbeitsprocesse erheischten spezifischen Pro-ductionsmittel annimmt und nur in dieser Gestalt kann es lebendige Arbeit einsaugen. 

Hier sieht man also, warum dem Capitalisten, dem Arbeiter und dem politischen Oekono-men, der den Arb  Elemente des Arbeitsprocesses wegen ihrer stofflichen Eigenschaften als Capital gelten und warum er unfähig ist, ihre stoffliche Existenz als blosser Factoren des Arbeitsproceßes los zu lösen von der mit ihnen verquickten gesellschaftlichen Eigen-schaft, die sie zu Capital macht. Er kann das nicht, weil wirklich derselbe identische Ar-beitsproceß, dem die Productionsmittel durch ihre stofflichen Eigenschaften als blosse Lebensmittel der Arbeit dienen, dieselben Productionsmittel in blosse Einsaugungsmittel der Arbeit verwandelt. 
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K. Marx, Ökonomisches Manuskript 1863-1865, 
MEGA II/4.1, S. 80f.   



Nota. - Das Anschauliche, Historische, Qualitative - all das ist Stoff, an dem diese oder jene Form erscheint. Die Form macht den Stoff für menschliche Zwecke nützlich oder unnütz, doch ohne Stoff gibt es sie nicht. Es gibt keinen Stoff ohne Form (Was nicht erscheint, ist kein Stoff), doch welche Form das ist, bedarf noch weiterer Bestimmung; aber der Stoff ist, was und wie er ist. Die gesellschaftliche Eigenschaft ist gegenüber seiner stofflichen Existenz die formale Bestimmung. Beide von einander zu unterscheiden ist ein dialektisches Kunststück, das nur dem reflektierenden Analytiker gelingt - wenn er will. 
Und im konkreten Fall ist das eine politische Bedingung.
31. 8. 18

Nota II. - Zusammenfassend: Der sogenannte Formenwechsel ist nicht real, sondern nur denk bar. Die Formen sind keine Eigenschaften an den Dingen, sondern erscheinen in den Augen des kritischen Betrachters. Wenn außerdem Veränderungen an der äußeren Erscheinung geschehen, ist es zufällig und logisch unerheblich.
JE  




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