Freitag, 23. Dezember 2022

Fichte, Marx und Hegel.

franslanting

Im Kapitel über die Wertform* habe er "mit der hegelschen Ausdrucksweise kokettiert", schreibt Marx im Nachwort zum KapitalFür Generationen 'westlicher' Marxisten und Marxianer war das seinerseits eine Koketterie. Zu Dutzenden und Hunderten bemühten sie sich, das Marx'sche Werk im Sinn der Hegel'schen Dialektik zu deuten, denn die My-stifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erlitten habe, verhindere ja "in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat". Man müsse sie, um ihren rationellen Kern freizulegen, lediglich 'vom Kopf auf die Füße' stellen. Vom Kopf auf die Füße – das war das unfassliche Abrakadabra des pp. Westlichen Marxismus. Darüber ist viel geschrieben worden, und ein Ende war nicht abzusehen.

Immerhin ist impliziert, dass die Dialektik bei Hegel nicht das Original, sondern eine un-tergeschobene Fehlfarbe ist. Tatsächlich war die Urform der neueren** Dialektik das von Fichte entwickelte analytisch-synthetische Verfahren der Wissenschaftslehre. Sie will nicht sein das spekulativ eingesehene Bewegungsgesetz der Welt, sondern die Weise, in der die Philosophie (=Kant & Fichte) das vorgefundene reale Bewusstsein der Menschen erklärt: Setzen und bestimmen ist nur möglich als entgegen-setzen. Die Begriffe sind nichts ande-res als die Denkakte der Menschen, die sie in der diskursiven Darstellung so behandeln, als ob sie Fakten wären.

Die Marx'sche Kritik geht so vor, dass sie unter den überzeitlichen Begriffen der Politi-schen Ökonomie die ihnen zu Grunde liegenden Handlungsweisen der Menschen freilegt. Indem Marx die Hegel'sche Dialektik 'vom Kopf auf die Füße' stellte, hat er sie auf ihre Fichte'sche Urform zurückgeführt. Für Fichte wie für Marx haben Ideen, Begriffe und Gedanken Realität nur, soweit sie das Handeln wirklicher Menschen ausdrücken.

War Fichte nicht aber Idealist und Marx erklärtermaßen Materialist?

Idealismus hat zwei verschiedene, in einem gewissen Sinn entgegengesetzte Bedeutungen. Im landläufigen, fast umgangssprachlichen (und nicht zuletzt von Marx und Engels einge-führten) Gebrauch bezeichnet er eine Lehre, die wie zuletzt die Hegel'sche und zuerst die Plato'sche Philosophie  den Ideen, Begriffen, Vorstellungen, kurz: dem Geist eine eigene Realität zuspricht; sei es neben den Erscheinungen, sei es 'hinter' denselben als ihr 'Wesen'. In der philosophischen Schulsprache heißt dieser Standpunkt darum der reali-stische.

Das ist eine metaphysische, 
Seins-logische Aussage über die Natur der Dinge. In der Schulsprache wurde der Ausdruck Idealismus in einem kritischen, Wissens-logischen Sinn gebraucht, als Aussage über Wesen und Herkunft unseres Erkennens, Wissens, Verste-hens; als eine Antwort auf die Frage, woher unsere Vorstellungen kommen. Die Auffas-sung, sie gingen von den Dingen -  lat. res – aus, heißt wiederum die realistische. Dagegen steht die idealistische Auffassung, die meint, sie gingen – umgekehrt – vom Sehenden aus: gr. idein =sehen. In diesem Sinn war Fichte der Radikalste unter den Idealisten.

Ein kritischer oder, wie Fichte (mit Kant) sagt, "transzendentaler" Idealist kann logischer-weise kein Ideen-Realist sein. Er kann sich zu metaphysischen, Seins-logischen Fragen überhaupt nicht äußern, denn nach seiner Voraussetzung kann er von einem 'Wesen' der Dinge 'hinter' ihrer Erscheinung ja nichts wissen; er kann nicht einmal sinnvoll danach fragen. Aber die Erscheinungen leugnet er nicht, sie sind vielmehr die einzigen Realitäten, die er kennt. Real ist nur, was angeschaut wird. Angeschaut wird jedoch, was im Raum ist. Was aber im Raum ist, ist nach Fichte Materie. So dass ein transzendentaler Idealist zwar kein metaphysischer Materialist sein kann; aber eine Forschung kann er nur als Wissen-schaft achten, soweit sie materialistisch verfährt: nichts gelten lässt, als was sich in Raum und Zeit nachweisen lässt.

Zu wissenslogischen Fragen wiederum hat Marx sich theoretisch nicht geäußert. Aber in-dem er die dialektische Methode aus einer Selbstbewegung der Idee in ein Sezierbesteck des kritischen Subjekts zurückverwandelte, hat er sie praktisch beantwortet.

Ein Hegelianer in metaphysischem, ideenrealistischen Sinn war Marx nicht. Hegels Dia-lektik hat er ihrer metaphysischen, ideenrealistischen Verhüllung entkleidet und subjekti-viert - und hat sie, ohne Fichte zu kennen, an ihren ursprünglichen Platz gesetzt. 

*

Ach, das ist grob und schematisch, ich weiß. Es ließe sich noch Vieles daran anknüpfen, aber das ist der springende Punkt: anknüpfen. Es ist ganz allgemein, aber in dieser Allge-meinheit trifft es zu. Folgen mögen Spezifizierungen und Konkretisierungen; aber keine Einschränkungen noch Relativierungen.

*) im Anhang zur ersten Auflage des I. Bands, 1867
**) im Unterschied zu dem scholastischen Begriff, der auf Plato zurückging und nur eine rhetorische Methode des Argumentierens bedeutete.
12. 9. 15


Nachtrag. Der Realist nimmt an, dass sich die Information, die im Ding steckt, irgendwie in das Bewusstsein des Erkennenden einprägt. Das Problem dieser 'Widerspiegelungs-theorie' ist aber, dass so zwar erklärt wird, wie die Information hineinkommt; nicht aber, wie das Bewusst sein davon weiß: Der Spiegel spiegelt, aber sieht nicht. Unbegreiflich bleibt so die Tatsache der Reflexion. Wie das Ding es anstellt, mit seine Information weiterzureichen, wurde noch nicht einmal berührt.

Der Idealist Fichte geht darum davon aus, dass der Sehende mit einer Absicht auf das pp. Ding schaut: mit einer Erwartung. Der Gegen stand muss nur noch da sein und den An-mutungen des Fragenden wider stehen. Aktiv ist lediglich der Sehende: Sein Hinsehen stand am Anfang





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