Sonntag, 23. April 2023

Die Vernunft ist sich selbst vorausgesetzt.

                                                 aus Marxianazu Philosophierungen

Das / Bewußtsein ist also von vornherein schon ein gesellschaftliches Produkt und bleibt es, solange überhaupt Menschen existieren.
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Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 30f.


Also das erste und höchste der Ordnung des Denkens nach, was ich finde, bin ich, aber ich kann mich nicht finden ohne Wesen meinesgleichen außer mir; denn ich bin Individu-um. Also meine Erfahrung geht aus von einer Reihe vernünftiger Wesen, zu welcher auch ich gehöre, und an diesem Punkt knüpft sich alles an.

Dieses ist die intelligible Welt, Welt, insofern sie etwas Gefundenes ist, intelligibel in wie-fern sie nur gedacht und nicht angeschaut wird. Die Welt der Erfahrung wird auf die in-telligible gebaut, beide sind zugleich, eine ist nicht ohne die andere, sie stehen im Geiste in Wechselwirkung.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982S. 151
 


Nota. - Für Marx und Engels, die sich im Anschluss an Feuerbach eben erst Materialisten genannt hatten, war die Herkunft des Denkens aus Arbeitsteilung und Kooperation der historisch wirklichen Individuen kein Problem. Vom Himmel gefallen waren sie ja wohl nicht.

Nein, vom Himmel gefallen waren sie auch für den Transzendentalphilosophen Fichte nicht. Aber irgendwoher mussten sie doch gekommen sein - und aus der toten Materie ja wohl nicht.

Marx und Engels erzählen Geschichte, die sich in Raum und Zeit zugetragen hat. Das ist nicht Sache der Transzendentalphilosophie. Sie beginnt als Vernunftkritik: Was ist Ver-nunft und woher kam sie? Die Analyse ergibt: Im Unterscheid zum toten Stoff ist sie Bestimmung desselben als dieser oder solcher. Vorausgesetzt ist also, in welcher Gestalt auch immer, ein bestimmendes Vermögen. Das ist grob gesagt das, was Fichte unter Ich versteht. Ein Vermögen, das, da es selber noch nicht bestimmt ist, sich-bestimmen muss. Historisch aufgefasst wäre es wie Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht.

Historisch betrachtet aber die Transzendentalphilosophie die Sache gerade nicht, sondern - und zwar in einem materialen Sinn - logisch, nämlich auf ihre Herkunft hin.* Aber ir-gendwann wird sie doch historisch werden müssen, wenn sie nämlich wirklich werden will! Der Übergang der bislang stets nur sich-selbst bestimmenden Intelligenz zum Be-stimmen von Dingen außer ihr und ihr Übertreten in eine reale Welt sind ein Sprung, zu dem sie in sich selbst keine Veranlassung findet. Es musste ihr eine akute Notwendigkeit gegeben werden.

Und siehe da - die zur Vernunft strebende Intelligenz findet sich vor als Teil einer histo-risch gegebenen Reihe vernünftiger Wesen, die sie auffordern, es ihnen gleichzutun und sich in der wirklichen Welt Zwecke zu setzen. Die Aufforderung ist kategorisch, denn auch wenn sie ihr nicht Folge leistet, setzt sie - nämlich keinen Zweck.

Es ist ja immer die Rede vom Werden der Welt für die Vorstellung. Und sobald sie die Aufforderung, sich Zwecke in der wirklichen Welt zu setzen, hört und versteht, ist die wirkliche Welt in der Vorstellung und die Vorstellung in der Welt. Das ist der Sprung, auf den es ankam.

Mit andern Worten, die Vernunft kann es sich nicht anders vorstellen, als dass sie immer 'da gewesen' sei.

Historisch-materialistisch - nämlich kritisch - ausgedrückt hieße das: Den Markt hat es immer gegeben, jede Art menschlichen Zusammenlebens ist als Austausch von Arbeiten aufzufassen, und der Wert ist eine Naturtatsache.**)

*) ...während sich die materialistische Auffassung von Marx und Engels um die Herkunft des Geistes gar nicht schert.
10. 6. 19


**) Beachten Sie bitte den Konjunktiv: Dies ist natürlich nicht die Auffassung von Marx-Engels! Sie hätte es werden müssen, wenn sie das transzendentale Schema einfach in ma-terialistischen Dialekt überführt hätten - was sie nicht konnten,  weil ihnen die Transzen-dentalphilosophie fremd war, und was Fichte nicht konnte, weil zu seiner Zeit das Kapi-talverhältnis noch lange nicht so entfaltet war, dass seine dialektische Darstellung möglich gewesen wäre.
25. 4. 2023



Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE   

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