Montag, 22. Dezember 2025

Der Sinn der Welt, II.

photoseed                       zu  Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik 

Die Welt selbst hat keinen Sinn. Umgekehrt. Indem ich ihnen einen Sinn hinzu erfinde, wird aus den Erscheinungen überhaupt erst eine Welt, und wenn nicht, dann nicht. Kann ich es also auch bleiben lassen? 

Die Welt wird erst, indem ich ihr einen Sinne anerfinde. Der Sinn der Welt ist, dass ich in ihr mein Leben führen muss. Auf einen Sinn der Welt kann ich nicht verzichten, ich ver-zichtete denn darauf, mein Leben zu führen. Das Paradox: Ich mag wohl mein Leben nicht führen (sondern, sagen wir, mein Bedürfnis befriedigen). Allerdings kann ich mein Leben nicht nicht-führen wollen. Sobald ich will (und sobald ich überhaupt Ich denke), setze ich voraus, dass da ein Sinn ist; und ich ihn realisiere, indem ich etwas will. 

Ob das Leben einen Sinn hat, ist das pari von Pascal. Ich werde es darauf ankommen lassen müssen. Indem ich nach einem Sinn (überhaupt erst) frage, habe ich den Hauptteil der Ant-wort schon mitgegeben. Und andersrum: Der Sinn des Lebens besteht darin, dass ich nach ihm frage (und sobald ich mich bei einer Antwort beruhige, habe ich ihn schon wieder ver-loren).
aus e. Notizbuch, 11. 9. 03

 

Welt ist der bestimmte Gegensatz von Ich. Sie können nur miteinander vorgestellt werden. Sofern die Welt unbestimmt offen ist, ist das Ich unendlich bestimmend; das eine bedeutet das andere. In der Wirklichkeit kommen beide Vorstellungen miteinander erst im Vernunft-zeitalter der bürgerlichen Gesellschaft auf. Eine geistesgeschichtliche Betrachtung wird die eine als die Voraussetzung der anderen erkennen, eine materiale Geschichtsauffassung macht es umgekehrt. 

Logisch spielt das keine Rolle, historisch ist es sowohl-als-auch und daher unentscheidbar; genetisch würde man sagen: Man konnte den einen Schritt nicht ohne den andern tun; je-denfalls nicht auf die Dauer. Dauer gehört aber zur wirklichen Welt von Raum und Zeit: Sie ist die fortschreitende Tätigkeit wirklicher Menschen. Sinn ist ihre strittige Vorstellung da-von. 

*

Was ich war, was ich bin, was ich geworden bin, ist kein Sinn, sondern datum - "gegeben". Sinn ist aber nicht gegeben, sondern auf gegeben: nicht, was ich "bin", sondern was ich wer-den soll, indem ich tue. Sinn ist nicht faktisch, sondern problematisch.

    

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