Samstag, 20. Mai 2023

Verfahren.

                           zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

11) Von allem, was dem Ich zukommt, muss kraft der blossen Gegensetzung dem Nicht-Ich das Gegentheil zukommen

(Es ist die gewöhnliche Meinung, dass der Begriff des Nicht-Ich ein discursiver, durch Abstraction von allem Vorgestellten entstandener Begriff sey. Aber die Seichtigkeit dieser Erklärung lässt sich leicht darthun. So wie ich irgend etwas vorstellen soll, muss ich es dem Vorstellenden entgegensetzen. Nun kann und muss allerdings in dem Objecte der Vorstellung, irgend ein X liegen, wodurch es sich als ein Vorzustellendes, nicht aber als das Vorstellende entdeckt; aber dass alles, worin / dieses X liege, nicht das Vorstellende, sondern ein Vorzustellendes sey, kann ich durch keinen Gegenstand lernen; vielmehr sieht es nur unter Voraussetzung, jenes Gesetzes erst überhaupt einen Gegenstand)

Aus dem materialen Satze: Ich bin, entstand durch Abstraction von seinem Gehalte der bloss formale und logische: A = A. Aus dem im gegenwärtigen § aufgestellten entsteht durch die gleiche Abstraction der logische Satz: – A nicht = A; den ich den Satz des Gegensetzens nennen würde. Er ist hier noch nicht füglich zu bestimmen, noch in einer wörtlichen Formel auszudrücken; wovon der Grund sich im folgenden § ergeben wird. Abstrahirt man endlich von der bestimmten Handlung des Urtheilens ganz, und sieht bloss auf die Form der Folgerung vom Entgegengesetztseyn auf das Nicht-Seyn, so hat man die Kategorie der Negation. Auch in diese ist erst im folgenden § eine deutliche Einsicht möglich.
______________________________________________________________________J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, in SW I, Berlin 1845/1846, S. 101-105.


Nota. - Logisch gibt es keinen Unterschied zwischen setzen und entgegensetzen - in de-nen steckt unvermerkt ein Handelnder längst drin. Der wiederum lässt sich logisch von einem Nichthandelnden nicht unterscheiden. In der Logik kommen nur Begriffe vor, und die Schlüsse scheinen sich ganz von selbst zu ziehen - für einen Schlüssezieher vulgo Ich gibt es nicht einmal ein vereinbartes Symbol. Und er lässt sich auch durch Spitzfindigkei-ten nicht hineinsophistizieren.

Die Darstellung nova methodo beginnt mit der reinen Agilität, und alles, was sie vor Augen führt, ist nichts als was sie tut. Sie beschreibt nicht, was ist (unter anderem), son-dern was geschehen kann, nachdem und weil ihm anderes vorausgegangen ist. Das ist keine logische, sondern eine genetische Darstellung. Sie beschreibt keine Zustände oder Verhältnisse, sondern Wirkungen. Mit anderen Worten: Sie handelt nicht von Begriffen und ihren logischen Verhältnissen, sondern von Tä-tigkeit und ihrer Bedingung - dem freien Willen.

Die Darstellung der Grundlage wollte mit Begriffen Verständnis erzwingen, doch schon im Zweiten Grundsatz stellt sie den guten Willen des Lesers auf die Probe. Nova metho-do macht dagegen keinen Hehl daraus, dass es zur Wissenschaftslehre keinen Zugang gibt als die eigene Vorstellungsarbeit. Sie ist Schritt für Schritt nur durch Freiheit möglich, und was für eine Philosophie man wählt, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist.
16. 6. 17

Nota II. - Eben fällt mir ein: Die Wissenschaftslehre ist ein System der Entwicklung. - Die Hegelsche Phänomenologie und Logik doch aber auch!-? Nun ja - Entwicklung ist bei Fichte Bewegung, Agilität;  bei Hegel aber das statisch Nacheinander von Zuständen, Mo-menten; Bewegung, sondern ein Perlenkette. Bei Fichte Werden, bei Hegel Eins-nach-dem-andern. Kurz gesagt: in der Wissenschaftslehre analog, bei Hegel digital, hier an-schaulich, dort diskursiv und in Begriffen; hier strömts, da humpelts.
JE



Nota. Die obigen Bilder gehören mir nicht, ich habe sie im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Noumena.*

                                        zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik    Ein Begriff, der uns in die intelli...