Donnerstag, 15. September 2022

Schönheit und Darwin'sche Auslese.


aus FAZ.NET,  28. 8. 2022              Seidenlaubenvogel bei der Arbeit                   zuJochen Ebmeiers Realienzu Geschmackssachen

Wie geht Schönheit?
Eine faszinierende Zusammenstellung außergewöhnlicher Paarungsrituale: Der Ornithologe Richard O. Prum erläutert Darwins Konzept der sexuellen Auslese – und schlägt dabei etwas über die Stränge.

VON THOMAS WEBER

Die Balz des in den Regenwäldern Südostasiens heimischen Argusfasans ist ein  Schauspiel. Die Männchen legen einen Balzplatz auf einer Kuppe an und halten ihn sauber. Sie schlagen mit den Flügeln, werfen Laub beiseite und picken überhängende Zweige weg. Am Ende der Balz stellt das Männchen seine verlängerten Flügelfedern wie einen Fächer kegelförmig auf, und die strahlenförmig angeordneten Augenreihen auf diesen Federn laufen zum wirklichen Auge des Männchens hin zusammen.


Die Extravaganz solcher Ornamente und Verhaltensweisen, wie sie der Argusfasan zeigt, ist eine Herausforderung an die Theorie der natürlichen Auslese: Anpassungen sollten nützlich in der Auseinandersetzung mit der belebten und unbelebten Umwelt sein, aber welchen Nutzen können solche Ornamente außerhalb der Partnerwahl haben? Sie verschwenden ja wertvolle Energie und erregen die Aufmerksamkeit von Räubern.


Darwin gestand dem amerikanischen Botaniker Asa Gray, dass er sich beim Anblick einer Pfauenfeder jedes Mal krank fühle. Aber er löste den Widerspruch zwischen natürlicher Auslese und der Vielzahl offensichtlich nicht dem Überleben förderlicher Merkmale im Tierreich schließlich mit seiner Theorie der sexuellen Auslese auf. Die verdankte sich der Einsicht, dass biologische Fitness zwei Komponenten hat – Fortpflanzungserfolg und Überleben. Die infrage stehenden Merkmale können entstehen und erhalten bleiben, wenn sie ihrem Träger einen hohen Fortpflanzungserfolg verschaffen und damit mögliche Nachteile beim Überleben kompensieren.

Das außergewöhnliche Sexleben von Enten


Darwin schlug vor, dass die Vorliebe von Weibchen für aufwendige Ornamente auf eine subjektive Empfindung für Schönheit zurückzuführen sei, die nichts mit der Nützlichkeit dieser Merkmale im Überlebenskampf zu tun habe. Viele von Darwins Zeitgenossen hielten nur sehr wenig von dieser Theorie. Sie behaupteten, es gebe keine Beweise dafür, dass Weibchen aktiv ihre Partner auswählen. Die Theorie schlief viele Jahrzehnte einen Dornröschenschlaf – obwohl einige Größen der Evolutionsbiologie wie August Weismann, Ronald Fisher und John Maynard Smith sich mit ihr befassten – und wurde erst am Beginn der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts wieder zu einem zentralen Thema der Evolutionsbiologie.

Richard O. Prum: „Die Evolution der Schönheit“. Darwins vergessene Theorie zur Partnerwahl.
Bild: Matthes & Seitz Verlag


Richard Prum, Professor für Ornithologie an der Yale University, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Darwins Theorie zur sexuellen Auslese den ihr zustehenden Platz zuzuweisen. Das zentrale Argument seines Buches ist, dass Evolutionsbiologen Darwins wirklich „gefährliche Idee“ verworfen haben, nämlich, dass die subjektive und ästhetische Erfahrung von Schönheit durch (weibliche) Tiere der Schlüssel für die Erklärung von „Schönheit“ und ästhetischer Extravaganz in der Tierwelt und insbesondere bei Vögeln ist.

Prum schreckt nicht davor zurück, komplizierte Erklärungsversuche vorzustellen, aber sein Buch ist vor allem eine faszinierende Kompilation außergewöhnlicher Paarungsrituale im Tierreich. Er beginnt mit einer ausführlichen Beschreibung des Balzrituals des Argusfasans, er schildert, wie stammesgeschichtliche Information das Paarungsverhalten der Schnurrvögel erhellt und wie innovatives Paarungsverhalten entstehen kann. Er widmet ein Kapitel dem außergewöhnlichen Sexleben von Enten – einer der wenigen Vogelgruppen, die einen Penis haben –, und natürlich werden auch die Balzrituale der Laubenvögel behandelt, die mit ihren geschmückten Lauben Weibchen anzulocken versuchen.

Kognitive und neurale Mechanismen

All diese Vielfalt erklärt Prum mit den willkürlichen ästhetischen Vorlieben der Weibchen, die zu einem Prozess der „Runaway“-Auslese führen kann (ein Prozess, den Ronald Fisher 1930 vorschlug und mathematisch formalisierte): Die Vorliebe für ein Merkmal und das Merkmal entwickeln eine genetische Korrelation, wodurch sich Vorliebe bei Weibchen und die Ausprägung des Merkmals bei Männchen so lange aufschaukeln, bis die Kosten für das Überleben des Männchens zu hoch werden und durch den Paarungserfolg nicht mehr ausgeglichen werden können.

Der Bösewicht in Prums Schilderung ist die sogenannte „adaptive Partnerwahl“ – die Hypothese, dass die Wahl des Partners auf Signalen beruht, die Information über die Qualität der Männchen geben und dem wählenden Tier oder dessen Nachkommen damit besseres Überleben oder mehr Nachkommen versprechen. In Prums Augen ist diese Theorie kalt, utilitaristisch und sogar eugenisch, da eine oft nur ungenügend begründete genetische Qualität in den Mittelpunkt gestellt würde. Und Prum macht nicht bei Tieren halt. Er benutzt die Behauptung der sexuellen Autonomie von weiblichen Vögeln als Unterstützung für den Feminismus. Doch Beispiele für hochgehaltene Werte in der Tierwelt zu finden mag zwar befriedigend sein, aber es bedeutet auch, dass man vor vielen nicht so erfreulichen Phänomen die Augen verschließen muss: Kindestötung bei Löwen oder Blässhühnern, erzwungene Paarungen oder sexueller Kannibalismus etwa wollen da nicht ins Bild passen.

Richard Prums Buch hinterlässt deshalb sehr gemischte Gefühle. Auf der einen Seite bietet er eine außerordentlich breite und gut verständliche Darstellung einiger Aspekte eines dynamischen Forschungsfelds. Auf der anderen Seite ist dieses Buch eine entschieden einseitige Streitschrift in einer noch offenen Debatte, deren Daten und Argumente nur eine kleine Zahl von Experten wirklich durchschauen können. Denn in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung verlaufen die Fronten weitaus weniger eindeutig, als Prum behauptet. Darwins und Fishers Theorie fristet keineswegs ein Nischendasein – die beiden Arbeiten von Russell Lande und Mark Kirkpatrick, die in den Achtzigerjahren den „Runaway“-Prozess auf eine moderne Grundlage stellten, gehören zu den meistzitierten Arbeiten auf dem Feld der Arbeiten zur sexuellen Auslese.

Und Prum ignoriert neuere Arbeiten, die weder seine bevorzugte Theorie noch adaptive Partnerwahl in den Vordergrund stellen, sondern kognitive und neurale Mechanismen betrachten: Sinnesorgane und das Zentralnervensystem zeigen demnach einen „bias“ für gewisse Reizkonfigurationen, und dieser Mechanismus kann auch zu der extravaganten Ausprägung von Merkmalen führen. Hält man sich an das große Wissen des Autors über das Verhalten von Vögeln, kann man Prums Buch trotzdem mit Gewinn lesen.

Richard O. Prum: „Die Evolution der Schönheit“. Darwins vergessene Theorie zur Partnerwahl. Aus dem Englischen von Frank Born. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2022. 464 S., geb., 45,– €.

 Hüttengärtner

Nota. - Den gebildeten Westler freut es immer, wenn wieder ein Naturgesetz Federn lassen und eine Ausnahme eingestehen muss. Ist doch alles nicht so einfach, wie die Theoretiker es aushecken! Aber Verstehen will man natürlich doch. Wenn der Federchmuck und gar die bildgebenden Hütten der Laubenvögel keinen Einfluss auf die Selektion haben, müsste man wie der wenig um doktrinale Reinheit bekümmerte Darwin einen eigenständigen ästhetischen Sinn annehmen - bei den Männchen bei Bauen, bei den Weibchen beim Schauen. Das war doch aber - bei mir ist es noch - die letzte verbliebene Besonderheit des Menschen im Tierreich: das Geschmacksurteil! Einerseits bewahrte es uns den Adel, andererseits machte es einsichtig, wie aus momentanem (Lebensmittel-) Überfluss auf die Dauer Kultur akkumuliert werden konnte, die den Adel sachlich begründet; denn die Vögel hätten aus ihrem pp. ästhetischen Vermögen nichts weiter gemacht. 

Doch gerade zu diesen mich entscheidend dünkenden Fragen trägt Prums Buch anscheinend gar nichts bei. Daran, dass Darwins Erklärungsversuch dürftig und verlegen wirkt, ändert das aber nichts. Es bleibt ein Rätsel.
JE

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