Wie bitte? Wenn sich einer ‚seinen’ Grund als ein Absolutes setzt – wird es dadurch zu einem Relativen? Muß ich Eines, um es als mein Absolutes setzen zu dürfen, zugleich als das Absolute der Andern erkennen können? Weil Eines, um mir absolut gelten zu kön-nen, von Andern als absolut anerkannt worden sein muß? Ich dürfte also immer nur das Absolute der Andern anerkennen!
Für das Ästhetische behauptet das keiner. Vom Sittlichen denken das Alle. Warum? Weil sie meinen, der Zusammenhalt des Gemeinwesens hinge davon ab. Sie verwechseln es mit dem Recht. Das freiheitlich-demokratische Gemeinwesen beruht – nicht in der Wirklich-keit, aber wir sehen es so an, als ob: Das macht seinen Sinn aus! – auf dem freien Vertrag autonomer Subjekte. Ein Absolutes, worüber sich zwei verständigen konnten, wird ipso facto ein Relatives: So ‘rum wird ein Schuh draus. Das Absolute ist weder konsensfähig noch konsensbedürftig.
Die Sittlichkeit sagt, was ich mir selber schulde, das Recht sagt, was ich andern schulde. Dieses ist meine Pflicht, jenes sind die Ansprüche der andern gegen mich. Über jene müssen – und können – wir uns verständigen, über diese nicht. Mein erster, letzter, ab-soluter Grund muß sich, als rechtes Handeln, in meinem Leben bewähren. Ich muß mich dann „in der Welt“ bewähren – per Verhandlung und Vertrag, wenn’s sein soll. Das ergäbe einen Nachtwächterstaat ohne Pathos und Würde? Sein Pathos und seine Würde ist, daß er die Freiheit einer jeden Person, sich zu ihrer eignen Pflicht zu bestimmen, zu seinem Rechtsgrund macht. Ist das wem zu wenig, soll er’s sagen.
Ach, Leviathans Kinderfänger, die Pädagogen! „Die Menschen brauchen Orientierung!“ Nein, gerade das brauchen sie nicht. Es muß sich ein jeder selber orientieren. „Die Auf-forderung zur freien Selbsttätigkeit ist das, was man Erziehung nennt.“[1]
Sie aber meinen in Wahrheit: Die Menschen sollen sich von ihnen orientieren lassen – ausgerechnet! Gottlob meinen sie’s nicht ernst. Ein Absolutes käme ihnen, Zeitgeist be-hüte, gar nicht in den Sinn. Werte – ein „verbindlicher Werteunterricht“ tut’s auch.
Daß sie das Absolute zu Häppchen farcieren, macht die Sache zwar nicht besser, denn irgendwas, irgendwer (?) müßte deren Geltung doch verbürgen können. Ein „bißchen Wahrheit“ gibt’s so wenig wie ein bißchen... Unschuld. Doch ich hab eine Ahnung: Any-thing goes! Wahr ist, was funktioniert. Um den Ruf unserer Schulen ist es nicht gut be-stellt. Daß sie junge Menschen bilden, glaubt kaum einer. Nun ein neuer Schibboleth, ein weiteres Gadget, noch ein Bindestrich: Werte-Pädagogik! Man kann einen Ausbil-dungsgang dafür einrichten, mit C4-Professur. Wenn’s funktioniert…
Denen, die an der Existenz Gottes zweifeln, hat der Mathematiker Blaise Pascal eine Wet-te vorgeschlagen: Sie sollten nur immer so leben, als ob es Gott gibt. [2] Denn dabei müß-ten sie in jedem Fall gewinnen. Wenn es ihn gibt, sowieso. Und wenn nicht, dann wären sie immerhin anständig durchs Leben gekommen – und hätten auch gewonnen! Wenn alle so tun, als ob es Gott gäbe, dann ist es so gut, als ob es Gott gibt. „Gott wird, wo alle Kreaturen Gott aussprechen“, predigte Meister Eckhart.[3]
Das Göttliche werde „konstruiert durch das Rechttun. Jene lebendige und wirkende mo-ralische Ordnung ist selbst Gott. Wir bedürfen keines anderen Gottes und können keinen anderen fassen“, erläuterte Fichte.[4]
„Ich glaube nicht, daß Gott da war, sondern daß er erst kommt. Aber nur, wenn man ihm den Weg kürzer macht als bisher“, ergänzte ein Dichter des 20. Jahrhunderts.[5]
Mal angenommen, ein besonderes Fach namens Pädagogik solle es wirklich geben. Was wäre dann der Zweck, durch den es sich rechtfertigt? ‚Den Weg kürzer machen’ ohne Zweifel. Wie? Indem sie Kinder verlockt, auf den Sinn zu wetten.
Durch so viel Formen geschritten
durch Ich und Wir und Du.
Doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu.
Das ist eine Kinderfrage.
Es wurde dir spät bewußt:
es gibt nur eines: ertrage
- ob Sinn, ob Sucht, ob Sage -
dein fernbestimmtes: du mußt.
Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere -
was alles erblühte, verblich.
Es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.
G. Benn
Das ist die verzweifelte Alternative. Nicht, daß man sie widerlegen könnte. Ob man aber damit ein Leben anständig führen kann? Sache der Pädagogik wäre, solange dazu noch Zeit ist, dies: die „Kinderfrage“ festzuhalten, auszumalen und immer wieder auszuspre-chen. Der Sinn des Lebens ist, daß du nach ihm fragst. Das ist Wahrheit. Das Leben selber kommt auch ohne aus. Nur hat es dann keine Würde: Dies Problem so zur Dar-stellung bringen, daß es lockt – das ist Kunst, das muß man können.
Für das Ästhetische behauptet das keiner. Vom Sittlichen denken das Alle. Warum? Weil sie meinen, der Zusammenhalt des Gemeinwesens hinge davon ab. Sie verwechseln es mit dem Recht. Das freiheitlich-demokratische Gemeinwesen beruht – nicht in der Wirklich-keit, aber wir sehen es so an, als ob: Das macht seinen Sinn aus! – auf dem freien Vertrag autonomer Subjekte. Ein Absolutes, worüber sich zwei verständigen konnten, wird ipso facto ein Relatives: So ‘rum wird ein Schuh draus. Das Absolute ist weder konsensfähig noch konsensbedürftig.
Die Sittlichkeit sagt, was ich mir selber schulde, das Recht sagt, was ich andern schulde. Dieses ist meine Pflicht, jenes sind die Ansprüche der andern gegen mich. Über jene müssen – und können – wir uns verständigen, über diese nicht. Mein erster, letzter, ab-soluter Grund muß sich, als rechtes Handeln, in meinem Leben bewähren. Ich muß mich dann „in der Welt“ bewähren – per Verhandlung und Vertrag, wenn’s sein soll. Das ergäbe einen Nachtwächterstaat ohne Pathos und Würde? Sein Pathos und seine Würde ist, daß er die Freiheit einer jeden Person, sich zu ihrer eignen Pflicht zu bestimmen, zu seinem Rechtsgrund macht. Ist das wem zu wenig, soll er’s sagen.
Ach, Leviathans Kinderfänger, die Pädagogen! „Die Menschen brauchen Orientierung!“ Nein, gerade das brauchen sie nicht. Es muß sich ein jeder selber orientieren. „Die Auf-forderung zur freien Selbsttätigkeit ist das, was man Erziehung nennt.“[1]
Sie aber meinen in Wahrheit: Die Menschen sollen sich von ihnen orientieren lassen – ausgerechnet! Gottlob meinen sie’s nicht ernst. Ein Absolutes käme ihnen, Zeitgeist be-hüte, gar nicht in den Sinn. Werte – ein „verbindlicher Werteunterricht“ tut’s auch.
Daß sie das Absolute zu Häppchen farcieren, macht die Sache zwar nicht besser, denn irgendwas, irgendwer (?) müßte deren Geltung doch verbürgen können. Ein „bißchen Wahrheit“ gibt’s so wenig wie ein bißchen... Unschuld. Doch ich hab eine Ahnung: Any-thing goes! Wahr ist, was funktioniert. Um den Ruf unserer Schulen ist es nicht gut be-stellt. Daß sie junge Menschen bilden, glaubt kaum einer. Nun ein neuer Schibboleth, ein weiteres Gadget, noch ein Bindestrich: Werte-Pädagogik! Man kann einen Ausbil-dungsgang dafür einrichten, mit C4-Professur. Wenn’s funktioniert…
Denen, die an der Existenz Gottes zweifeln, hat der Mathematiker Blaise Pascal eine Wet-te vorgeschlagen: Sie sollten nur immer so leben, als ob es Gott gibt. [2] Denn dabei müß-ten sie in jedem Fall gewinnen. Wenn es ihn gibt, sowieso. Und wenn nicht, dann wären sie immerhin anständig durchs Leben gekommen – und hätten auch gewonnen! Wenn alle so tun, als ob es Gott gäbe, dann ist es so gut, als ob es Gott gibt. „Gott wird, wo alle Kreaturen Gott aussprechen“, predigte Meister Eckhart.[3]
Das Göttliche werde „konstruiert durch das Rechttun. Jene lebendige und wirkende mo-ralische Ordnung ist selbst Gott. Wir bedürfen keines anderen Gottes und können keinen anderen fassen“, erläuterte Fichte.[4]
„Ich glaube nicht, daß Gott da war, sondern daß er erst kommt. Aber nur, wenn man ihm den Weg kürzer macht als bisher“, ergänzte ein Dichter des 20. Jahrhunderts.[5]
Mal angenommen, ein besonderes Fach namens Pädagogik solle es wirklich geben. Was wäre dann der Zweck, durch den es sich rechtfertigt? ‚Den Weg kürzer machen’ ohne Zweifel. Wie? Indem sie Kinder verlockt, auf den Sinn zu wetten.
Durch so viel Formen geschritten
durch Ich und Wir und Du.
Doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu.
Das ist eine Kinderfrage.
Es wurde dir spät bewußt:
es gibt nur eines: ertrage
- ob Sinn, ob Sucht, ob Sage -
dein fernbestimmtes: du mußt.
Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere -
was alles erblühte, verblich.
Es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.
G. Benn
Das ist die verzweifelte Alternative. Nicht, daß man sie widerlegen könnte. Ob man aber damit ein Leben anständig führen kann? Sache der Pädagogik wäre, solange dazu noch Zeit ist, dies: die „Kinderfrage“ festzuhalten, auszumalen und immer wieder auszuspre-chen. Der Sinn des Lebens ist, daß du nach ihm fragst. Das ist Wahrheit. Das Leben selber kommt auch ohne aus. Nur hat es dann keine Würde: Dies Problem so zur Dar-stellung bringen, daß es lockt – das ist Kunst, das muß man können.
[1] J. G. Fichte, Sämtliche Werke, Berlin 1971, Bd. III, S. 39
[2] Pascal, Pensées Nr. 233 (éd. Brunschvicg)
[3] Mr. Eckhart, Deutsche Predigten und Traktate, München 1963, S. 273 (Pr. 26)
[4] J. G. Fichte, Sämtliche Werke, Berlin 1971, Bd. V, S. 185f.
[5] Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Hamburg 1952, S. 1022
aus: PÄD Forum, Heft 6/2003
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