Dienstag, 15. August 2023

Begreifen ist Symbolisieren.

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Die Einbildungskraft liefert den Stoff der Vorstellung – und die Urteilskraft sagt Ja oder Nein dazu. Allerdings 'gibt es' das Ja nur in Gestalt eines ausgebliebenen Nein. Die Ur-teilskraft ist also "nichts als" die Fähigkeit des Neinsagens. Der Mensch ist das Tier, das nein sagen kann, sagt Max Scheler.

Mein Bild passe nicht zu meinem Text, sagen Sie – das Nein der Waage sei vielmehr ein ausgebliebenes Ja? Das ist eben so ein springender Punkt: Die Verneinung lässt sich nicht anschaulich darstellen, nicht im 'analogen' Modus. Anschaulich ist die Einbildung. Sie ist dem Urteil voraus gesetzt. Das, was in der Einbildung 'gemeint' war, müsste durch eine zweiten, nachträglichen Akt wieder aufgehoben werden – oder ich 'lasse es durch-gehen'. Aber die Frage, ob ja oder nein, lag in jedem Fall dazwischen. Durch sie ist der Stoff meiner Einbildung aus dem Erlebensstrom heraus gehoben und zu diesem (im Un-terschied zu allem andern) bestimmt worden. Ich habe ihn begriffen. Der Modus des Be-greifens ist der 'digitale' - begreifen ist symbolisieren.

 
Die Verneinung lässt sich nur digital darstellen, weil sie erst im Akt des Begreifens mög-lich wurde.
 

Dezember 4, 2010


Das kennen Sie schon? Aber ja doch. Nur wenn ich das, was ich meine - was ich mir vor-stelle und einem andern mitteilen will -, so verpackt habe, dass der es nur auszupacken braucht, um es zu 'erkennen', ist es möglich, dass wir in Austausch treten. In abstracto könnte es sein, dass er und ich uns darauf verständigt haben, dieses oder jenes Zeichen - Kritzelei, Gebärde, Stimmbild - stellvertretend zu nehmen für das, was intendiert* ist. Was intendiert war, müssen wir beide vorab verstanden haben, erst dann können wir uns auf ein Zeichen verständigen, das das Gemeinte e-vozieren, in der Vorstellung des andern 'hervorrufen' kann. (Er hat es schon einmal selber gemeint, und hat es in seinem Ge-dächtnis gespeichert. Von dort muss ich es 'nur noch' hervor rufen.)

Wären wir nur zu zweit, könnten wir uns auf Andeutungen beschränken - eine Mimik, ein Räuspern, ein Handzeichen. Doch als die Menschen oder ihre Vorfahren auf die Notwen-digkeit gegenseitiger Verständigung stießen, waren sie nicht 'zu zweit', sondern in Gesell-schaft, mindestens in GemeinschaftDass sie sich verständigen mussten, war ihnen vor-gegeben, bevor sie sich selber geben konnten und solltenwomit und worauf die sich ver-ständigen wollten. 

Worauf und Womit waren zufällig, sie konnten und mussten sich im Verkehr selbst erge-ben, aber nicht, dass. Das nennen wir heute Digitalisierung: Notwendig ist, wofür das Zei-chen steht; dem Zufall oder der Willkür der Konvention bleibt überlassen, welches Zei-chen.

Kurz und bündig: Symbolisieren ist ohne gesellschaftlichen Verkehr weder möglich noch irgend brauchbar. Und durch den Verkehr sanktionierte Symbole heißen landläufig Be-griffe.

*) Im scholastischen Latein des Mittelalters steht intentio schlicht und einfach für Bedeu-tung.

*

Das ist aber erst der Modus - die Frage, wie begriffen wird: durch Symbolisieren. Doch nicht alles kann man symbolisieren, nicht alles kann man symbolisieren wollen. Symboli-sieren lassen sich lediglich Bedeutungen, sonst nichts. Dinge kann man nicht symbolisie-ren, man hätte auch gar keine Verwendung dafür.*

Das ist der materiale Kern des Begreifens: die Freisetzung, die Identifizierung und die Kenntlichmachung der Bedeutung. Bedeutung ist das, was mich veranlassen kann, an einem X, sei es sinnlich oder nur vorgestellt, eine Handlung vorzunehmen. Was an meiner Handlung Zweck ist, ist am X die Bedeutung. 

Um zu begreifen, muss ich die Vorstellung, die ich mir von einem X mache, unterteilen in Was sie ist und Was sie mir bedeutet: das, was ich mit ihr tun-wollen-könnte. Ich habe zu-vor nicht nur das X von mir, sondern zugleich meine Vorstellung erstens von ihm und zweitens von mir unterschieden. X schaue ich an. Mich schaue ich nur mittelbar, nämlich im Bild des Handelnden anMein Handeln selbst schaue ich aber an, indem ich handle. Und zwar nicht als 'Handeln-überhaupt'sondern als dieses bestimmte, durch seinen Zweck bestimmte Handeln. Der Zweckbegriff, der Begriff, den ich mir von meinem Zweck mache, ist die Keimform allen Begreifens.

An die Vorstellung von allen Zwecken, denen ein X dienen kann, im Gedächtnis mit einem Zeichen versehen, durch welches diese Vorstellung jederzeit re-präsentiert weden kann: Das heißt Symbolisieren.

*) 'Etwas' ist immer Eins: dieses und kein anderes, das für es eintreten könnte. Ein Symbol kann dagegen auf Mehrere 'zutreffen', die es "unter sich fasst" und begreift.

PS. Gr. symbolon kommt von symballein: (zwei) Dinge gleichzeitig werfen.

20. 12. 20


 

 
NotaDas obige Foto gehört mit nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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