Donnerstag, 9. März 2023

Vorstellen und darstellen.

                            aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Die Darstellung kann nicht anders als diskursiv verfahren. Aber in der Vorstellung selbst ist alles auf einen Schlag.

Das gilt wohlbemerkt auch empirisch. Zwar müssen wir meistens suchen, um etwas in unserem Bewusstseins-vorrat zu finden; aber dann kommt es uns so vor, als sei es schon die ganze Zeit da gewesen und habe nur dar-auf gewartet, aktiviert zu werden. 

Tatsächlich sind die Verschaltungen zwischen den Neuronen 'schon da' – sie müssen nur noch befeuert werden. Wie steht es da aber mit Fichtes dauernder Versicherung, dass die ideale Tätigkeit 'aus Freiheit' geschehe? Dass ich in meiner Erinnerung nur finde, was ich finden will, kann ich empirisch nicht bestätigen. Ist es einmal da, kann ich jederzeit darü-ber stolpern, da ist mehr Zufall als Freiheit. Aber ob ich einen Wissensgehalt überhaupt erst anlege und ablege, das hängt von mir, und das heißt: von meinem Wollen ab.

Mit dem Darstellen ist es etwas ganz anderes. Ob ich alles wiederfinden werde, wonach ich suche, mag zum Teil Zufall sein. Aber was ich dann an was anknüpfe und wie, das ist Sache meiner Freiheit: der Reflexion. Doch muss ich es in der Zeit vortragen, eines nach dem andern, und so wird es immer ein bisschen so aussehen, als sei das Zweite vom Er-sten verursacht, während sie doch einander gegenseitig bedingen, und dies ohne Vor- und Nachher. Anders könnte die Wissenschaftslehre nicht vom Bestimmten auf das Bestim-mende rückschließen.


*

Es ist ein Missverständnis, dass die transzendentale Betrachtungsweise mit dem Fakti-schen gar nichts zu tun habe. Sie ist nicht dessen Abbildung oder Nacherzählung, das wäre überflüssig. Aber sie ist dessen Sinndeutung, und es wäre sehr merkwürdig,* wenn sie einander gar nicht ähnlich sähen.

*) Warum dieses? Weil auch die diskursive Darstellung nicht 'das Seiende' ausspricht, son-dern immer nur, was es bedeuten soll – freilich nicht selbstreflexiv ausspricht, sondern gegenstandsbezogen, während die Transzendentalphilosophie rekonstruiert, wie die Bedeu-tungen entstanden sein müssen; aber beide handeln von Bedetungen, und von den Bedeutungen der Dinge.
JE
, 18. 12. 15


Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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Bestimmt, unbestimmt, bestimmbar; setzen, abstrahieren.

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