Freitag, 3. März 2023

...geht vom Glauben an ein Absolutes aus.

                                         aus Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Inwiefern sonach das Wollen ein Absolutes und Erstes ist, ist es schlechthin nicht aus dem Einflusse eines Etwas außer dem Ich, sondern lediglich aus dem Ich selbst zu er-klären; und diese Absolutheit desselben wäre es, die nach Abstraktion von allem Fremd-artigen übrigbliebe.


Anmerkung


Dass das Wollen in der erklärten Bedeutung als absolut erscheine, ist Faktum des Be-wusstseins: Jeder wird es in sich selbst finden, und es lässt sich keinem von außen beibrin-gen, der es nicht schon weiß. Daraus aber folgt nicht, dass diese Erscheinung nicht selbst wieder erklärt und abgeleitet werden müsse, wodurch die erscheinende Absolutheit wieder erklärt würde und aufhörte, Absolutheit zu sein, und sich die Erscheinung derselben in Schein verwandelte: - gerade so, wie es allerdings auch erscheint, dass bestimmte Dinge in Raum und Zeit unabhängig von uns da sind, und diese Erscheinung in einer transzenden-talen Philosophie doch weiter erklärt (nur nicht ... in Schein verwandelt) wird. 

Es wird zwar niemand eine solcher Erklärung des Wollens aus etwas anderem zu geben noch irgend ein verständliches Wort zu diesem Behufe beizubringen vermögen; wenn er aber behauptet, dasselbe könne dennoch einen uns freilich unbegreiflichen Grund außer uns haben, so hat eine solche Behauptung freilich nicht den geringsten Grund für sich, es ist aber auch kein theoretischer Vernunftgrund dagegen. 

Wenn man sich nun doch entschließt, diese Erscheinung nicht weiter zu erklären und sie für absolut unerklärbar, d. i. für Wahrheit und für unsere ein[z]ige Wahrheit zu halten, nach der alle andere Wahrheit beurteilt und gerichtet werden müsse, - wie denn eben auf diese Ent-schlie-/ßung unsere ganze Philosophie aufgebaut ist - so geschieht dies nicht zufolge einer theoretischen Einsicht, sondern zufolge eines praktischen Interesse: Ich will selbst-ständig sein, darum halte ich mich dafür. Ein solches Fürwahrhalten ist aber ein Glaube. 

Sonach geht unsere Philosophie aus von einem Glauben, und weiß es. Auch der Dogma-tismus, der, wenn  er konsequent ist, die angeführte Behauptung macht, geht gleichfalls von einem Glauben aus (an das Ding an sich); nur weiß er es gewöhnlich nicht. ... Man macht in unserem System sich selbst zum Boden seiner Philosophie, daher kommt sie demjenigen bodenlos als vor, der dies nicht vermag; aber man kann ihn im voraus versi-chern, dass er auch anderwärts keinen Boden finden werde, wenn er sich diesen nicht verschaffe, oder mit ihm sich nicht begnügen wolle.

Es ist notwendig, dass unsere Philosophie dies recht laut bekenne, damit sie doch endlich mit der Zumutung verschont werde, den Menschen von außen anzudemonstrieren, was sie selbst in sich erschaffen müssen.

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J. G. Fichte, System der Sittenlehre..., SW IV, S. 25f.  

 

Nota. - Es ist diese Verfahrensweise, die ich andernorts als die problematisch-pragmati-sche bezeichnet habe. Was F. hier einen Glauben nennt, ist eine als problematisch aufge-fasste Prämisse, die erst noch durch Praxis bewährt werden muss.
4. 9. 21

Nota II. - Das ist von allen Kernstücken der Wissenschaftslehre das kernigste. Aber erst im Nachhinein bei der Darstellung des vollständigen Systems! Insofern ist es missver-ständlich, wenn er sagt, dass die Wissenschaftslehre von einem Glauben ausgehe: Sie hatte ja das Wollen als das Wesen des Ichs am Schluss ihres ersten, analytischen Gangs aufge-funden; erst ihrem zweiten, synthetischen und (re)konstruierenden Gang legt sie ihn zu Grunde und 'geht von ihm aus'.
JE


Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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