Dienstag, 28. Februar 2023

Vernunft, dogmatisch oder problematisch.

Osmar Schindler                                                                                  zu  Philosophierungen

"Ich meine, vernünftig zu denken, wenn ein Anderer, dem ich vor-denke, gar nicht anders kann, als mir nach-zu-denken und mir beizustimmen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder, ich lasse es drauf ankommen; das wäre die pragmatische, die 'findende', die problematische Version. Oder ich nehme eine prä-etablierte Übereinstimmung an, die eine andere Möglichkeit gar nicht offen lässt und einen wirklichen Andern gar nicht braucht; das ist die dogmatische Version..."

Fichte hat zwischen der pragmatisch-problematischen Auffassung, wonach die Vernunft sich aktual ergibt im wirklichen Verkehr vernunftbegabter Menschen - und insofern im besten Fall als proiectum aufzufassen ist -, und der dogmatischen Auffassung eines apri-orischen Programms, das sich mittels vernünftig wirkender Individuen selbst verwirklicht, lange geschwankt; wobei in den früheren, stürmischen Jahren die Neigung zur aktuali-stisch-problematischen Version zu überwiegen scheint. Es war erst Jacobis Eingreifen in den Atheismusstreit, das ihn bewogen hat, sich schließlich für die dogmatische Variante zu entscheiden.

Von einer an sich seienden Vernunft vor der Zeit und vor ihrem "Erscheinen" in der Endlichkeit kann man nichts weiter wissen, nicht, wo sie herkommt, noch, worauf sie hinauswill. Da kann man nur glauben. An eine problematische Verunft, die auch scheitern mag, kann man nicht glauben, sondern man müsste sich ihrer jeden Tag neu vergewissern: Man muss wissen. Nämlich wo sie herkommt und worauf sie hinausläuft.

Her kommt sie aus der Fähigkeit der Menschen, wertend zu urteilen; das ist ihr ästheti-sches Vermögen. Hinaus läuft sie auf eine ewig prozessierende Verständigung der Men-schen über ihre gemeinsamen, nämlich öffentlichen Angelegenheiten; überall da, bis wo-hin die Notwendigkeiten reichen und ab wo frei gewählt werden kann: Von da an kann man fröhlich streiten.
19. 5. 2014  

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