Donnerstag, 9. Februar 2023

Sapere aude.

gewuerze

Sapere aude – wage zu wissen.

Hübsch übersetzt, was? Aber nicht so ganz korrekt. Denn sapere heißt wohl mehr oder doch anderes als bloß wissen – im Sinne von sachlicher Kenntnis. In sapientia klingt es durch: Das bedeutet vielmehr Weisheit als Informiertheit.

Etymologie ist nicht Logik. Aber in der Geschichte der Wortbedeutungen scheint die Herkunft unserer Urteilsgründe, der Qualitäten, auf. Denn zu sapere findet sich nicht nur das Nomen sapientia, sondern auch das Nomen sapor, Geschmack. Und während sapien-tia für jedes Ohr hörbar aus sapereabgeleitet ist, hört jedes Ohr auch gleich, dass sapere die Verbalform von – sapor ist.

Im Französischen gibt es die befremdende Nähe von le savoir und la saveur, von savoir und savourer. Im Althochdeutschen gab es das Verb int-sebben, das ohrenscheinlich aus derselben gemeinsamen indogermanischen Wurzel stammt, und das bedeutete 'mit den Sinnen, bes. dem Geschmacke, wahrnehmen'. 

Sapere aude bedeutet daher ursprünglich nicht: 'Wage zu wissen, was dir dadurch verbürgt ist, dass jeder Andere es auch wissen kann'; sondern bedeutet:

Wage dein eignes Geschmacksurteil!

Da muss sich der Homo sapiens aber noch ein bissel ranhalten, wenn er sich seinen Na-men verdienen will.

23. 1. 14


Etymologie ist nicht Logik. Unser Wissen, auf das wir stolz sind, hieß auf Mittelhoch-deutsch diu witze, und wer gewitzt ist, hat Mutterwitz, wie noch Kant sich ausdrückt. Witz sei eine ernsthafte Sache, heißt es bei Fichte. Denn auch die Weisheit stammt davon ab. Das sei jedoch der äußerste Gegensatz, sagt ein ernster Mann, doch der Witzbold kontert: Les extrêmes se touchent.

Was uns sicheres Wissen verbürgt, nennen wir Erkenntnis. Sie ist das Höchste, was Phi-losophie vermag. Kennen hat dieselbe Wurzel wie können.

Beweisen kann Etymologie nichts. Aber sie kann den Horizont weiten.









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