Freitag, 3. Februar 2023

Produktive Arbeit.

Courbet, Holzfäller               zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Wessen sind wir uns denn eigentlich bewusst, wenn wir uns unseres Wirkens in der Sinnenwelt bewusst zu sein glauben? Was kann in diesem unmittelbaren Bewusstsein liegen, und was kann nicht in ihm liegen? - Wir sind uns unmittelbar bewusst unseres Begriffes vom Zwecke, des eigentlichen Wollens; einer absoluten Selbstbestimmung, wodurch gleichsam das ganze Gemüt auf einen einzigen Punkt zusammengefasst wird. Wir werden uns ferner unmittelbar bewusst der Realität und wirklichen Empfindung des vorher nur im Zweckbegriffe gedachten Objektes, als eines in der Sinnenwelt wirklich gegebenen.

Es dürfte jemand vorläufig einwenden: auch der Arbeit des Hervorbringens, die zwischen dem Entschluss des Willens und seiner Realisation in der Sinnenwelt in die Mitte fällt, sind wir uns bewusst. Ich antworte: dies ist kein besonderes Bewusstsein, sondern ledig-lich das schon angezeigte allmähliche Bewusstsein unserer Befriedigung. Von der Fassung des Entschlusses  geht diese an und  sukzessiv fort,  indem das Wollen sukzessiv fortge-setzt wird, bis zur vollständigen Ausführung unseres Zweckbegriffs. Also - dieses Be-wusstsein ist nur die synthetische Vereinigung der aufgezeigten beiden Arten des Be-wusstseins, des Wollens und des Gewollten, als eines wirklichen. 

Keinesweges bewusst sind wir uns des Zusammenhanges zwischen unserem Wollen und der Empfindung der Realität des Gewollten. ... /...

Was ich wollte, ist, wenn es wirklich wird, Objekt einer Empfindung. Es muss sonach ein bestimmtes Gefühl vorhanden sein, zufolge dessen es gesetzt wird, da alle Realität für mich nur unter dieser Bedingung stattfindet. Mein Wollen wäre sonach in diesem Falle von einem auf das Gewollte sich beziehenden Gefühle begleitet; durch welche Ansicht wir soviel gewinnen, dass die Sphäre unserer Untersuchung lediglich in das Ich fällt; wir nur von dem zu reden haben, was in uns vorgeht, keinesweges von dem, was außer uns vor-gehen soll.

Gefühl ist immer Ausdruck unserer Begrenztheit; so auch hier. Nun ist in unserem Falle insbesondere ein Übergang von einem Gefühl, bezogen auf das Objekt, wie es / ohne unser Zutun sein sollte, zu einem anderen Gefühle, bezogen auf dasselbe Objekt, wie es durch unsere Wirksamkeit modifiziert sein soll. Es ist sonach, da das letztere Produkt unserer Freiheit sein soll, ein Übergang aus einem begrenzten zu einem minder begrenz-ten Zustande.
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J. G. Fichte, System der Sitttenlehre, SW IV, S. 70ff.

 
Nota I.
 - Es ist hier von der wirklichen, prosaischen, produktiven Arbeit die Rede. Wenn er aber einerseits alles Wirken nach Zweckbegriff, alle Zwecke dann mit der Pflicht, und die ("annäherungsweise") Erfüllung der Pflicht schließlich mit der produktiven Arbeit in Zusammenhang bringt, kann nicht ausbleiben, dass er hinterher Sittlichkeit, die ich mir selbst gebiete, und gesellschaftliche Verantwortung, die mir das Vertragsverhältnis gebietet, mit einander vermengt findet. Er hat den  'Vernunftzweck' einer nicht nur rechtlichen, sondern gerechten Gesellschaftsverfassung als ein Ideal über mein Gewissen  gestülpt und beides zu einem Sittengesetz vermengt, das er dann auch noch göttlich aufgeladen hat.

Mögen sie ihm nachgesagt haben, er sei Atheist gewesen; aber Lutheraner war er doch.

Nota II. - Wirkliche Arbeit, nämlich materiell produktive Tätigkeit, ist "Übergang aus einem begrenzten zu einem minder begrenzten Zustand"; ein Schritt auf dem Weg zu tatsächlicher Freiheit. Fichtes Vater war Weber, und wenn er wohl auch schon für einen Verleger produ-zierte, war er noch Eigentümer seines Webstuhls. Was Fichte unter Arbeit versteht, ist die Tätigkeit von Handwerkern und Ackerbauern. Die stehen, weil selber produktiv, in sittlicher Hinsicht über dem untätigen Adligen und unproduktiven Kaufmann. 

Aber an Fabriksystem und Lohnarbeit konnte er noch nicht denken.

Ein fernes Echo findet sich im Herr-und-Knecht-Kapitels in Hegels Phänomenologie des Geistes; auch dort ist - irgendwie - der produktive Knecht dem zehrenden Herrn, der ihn unterdrückt, überlegen. Eine Generation später breitet sich die Lohnarbeit von England her auch auf dem Kontinent aus, und nun ist der Arbeiter zwar noch produktiv tätig, aber nicht mehr Eigentümer seines Produkts, das ihm schon  während der Arbeit nicht gehört und von dem er überhaupt nur ein Teilstück in die Hände bekommt. Als produktiv erscheint im Fabriksystem nicht mehr der Arbeitende, sondern das Kapital, das in der Tat dabei ist, alle Grenzen zu sprengen. 

Von Entfremdung redet Marx in diesem Zusammenhang. Es ist aber anzumerken, dass die Emphase bei Fichte nicht, wie bei Hegel und dem jungen Marx, auf der Vergegenständli-chung des Arbeiters in seinem Produkt und der Verwirklichung seiner Wesenskräfte liegt, sondern auf der Entgrenzung seiner Freiheit. 
JE, 17. 9. 18



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