Dieter Schütz, pixelio.de; aus Wissenschaftslehre
ad II. Man philosophierte schon frühe, aber nur dunkel; es lag noch kein deutlicher Be-griff zu Grunde. Die Skeptiker warfen vorzüglich die Frage auf, ob wohl unsere Vorstel-lungen objektive Gültigkeit hätten.
Durch Hume, einen der größten Skeptiker, wurde Kant geweckt. Letzterer aber stellte kein System auf, sondern schrieb nur Kritiken, d. h. vorläufige Untersuchungen über die Philosophie. Wenn man aber das, was Kant besonders in der Kritik der reinen Vernunft sagt, in ein System fasst, so sieht man, dass er die Frage der Philosophie sich richtig ge-dacht hat.
Er drückt sie so aus: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich, und beantwortet sie so: Es gibt eine gewisse Notwendigkeit, gewisse Gesetze, nach denen die Vernunft han-delt in der Hervorbringung der Vorstellungen; was durch diese Notwendigkeit, durch die-se Gesetze zu Stande gebracht wird, hat objektive Gültigkeit. Also von Dingen an sich, von einer Existenz ohne Beziehung auf ein Vorstellendes ist bei Kant nicht die Rede. Es war ein großer Missverstand, dass man das, was Kant in seinen Kritiken vortrug, für Sy-stem hielt. Gegen die, die dies glauben, lässt sich folgendes einwenden:
1) Das gesamte Handeln des menschlichen Geistes und die Gesetze dieses Handelns sind bei Kant nicht systematisch aufgestellt, sondern bloß aus der Erfahrung aufgegriffen. Man kann daher nicht sicher sein[,]
A) dass diese Gesetze des notwendigen Handelns des menschlichen Geistes erschöpft sind, weil er sie nicht bewiesen hat;
B) wie weit ihre Gültigkeit sich erstrecke;
C) Die merkwürdigen Äußerungen des menschlichen Geistes: Denken, Wollen, Lust oder Unlustempfinden sind nach Kant nicht aufs erste zurückgeführt, sondern sind koordi-niert.
2) Das, worauf es hauptsächlich ankommt, nämlich zu beweisen, dass und wie unsern Vorstellungen objektive Gültigkeit zukomme, ist nicht geschehen. Die Kantische Phi/lo-sophie ist nur durch Induktion, nicht aber durch Deduktion bewiesen. Sie sagt: Wenn man diesen oder jene Gesetze annehme, wäre das Bewusstsein zu erklären; sie gilt daher nur als Hypothese.
Nota I. - Kants Induktion führt ihn nur bis zu den Kategorien. Er hat sie im Material 'aufgefunden' und stellt sie zusammen; nebeneinander. Aber schon, weshalb es genau diese zwölf sein müssen, wird nicht demonstriert und nicht deduziert. Schon gar nicht wird deduziert, woher sie stammen. Es sind vier mal drei, das sieht gut aus, aber mehr Evidenz haben Kants Kategorien nicht für sich.
28. 5. 16
Nota II. - Das ist nun nicht so zu verstehen, dass F. sein System der Wissenschaftslehre im Ganzen deduziert hätte. Woraus denn? Aus einem Glaubenssatz?
F. ist ja Kants kritischem Weg gefolgt: Faktischer Ausgangspunkt und logische Vorausset-zung ist, dass Vernunft ist. Kants unausgesprochene Annahme ist: Vernunft 'ist' nicht nur 'da', indem sie im Verkehr der vernunftbeflissenen Leute untereinander vermittelnd gilt, sondern sie& ist, weil sie objektiv gilt. Letzteres ist auf induktive Weise freilich nicht zu erweisen, und das ist der Mangel an Kants Verfahren.
Fichtes Lösung besteht darin, dass er Kants Induktion umkehrt und als Reduktion auf einen Punkt führt, wo es nicht weiter geht. Nachdem alles Faktische (=Kontingente) aus den Sätzen der Vernunft ausgeschieden ward - auch noch aus dem nur scheinbaren Apri-ori! -, bleibt übrig... nur die Satzform selbst. Eines prädiziert ein Anderes. Es ist der ur-sprüngliche, stiftende Akt.
Dies wird ihm zum Ausgangspunkt seiner Deduktion. Wenn es möglich ist, aus diesem aufgefundenen Ersten Grundsatz das ganze faktisch gegebenen System der Vernunft herzuleiten, ist der Kreis geschlossen. Von innen ist der Bering der Vernunft dann nicht zu sprengen.
Oder anders: Vernunft ist nur durch Unvernunft angreifbar. Sie wird sich dann verteidi-gen müssen...
JE 6. 6. 18
Durch Hume, einen der größten Skeptiker, wurde Kant geweckt. Letzterer aber stellte kein System auf, sondern schrieb nur Kritiken, d. h. vorläufige Untersuchungen über die Philosophie. Wenn man aber das, was Kant besonders in der Kritik der reinen Vernunft sagt, in ein System fasst, so sieht man, dass er die Frage der Philosophie sich richtig ge-dacht hat.
Er drückt sie so aus: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich, und beantwortet sie so: Es gibt eine gewisse Notwendigkeit, gewisse Gesetze, nach denen die Vernunft han-delt in der Hervorbringung der Vorstellungen; was durch diese Notwendigkeit, durch die-se Gesetze zu Stande gebracht wird, hat objektive Gültigkeit. Also von Dingen an sich, von einer Existenz ohne Beziehung auf ein Vorstellendes ist bei Kant nicht die Rede. Es war ein großer Missverstand, dass man das, was Kant in seinen Kritiken vortrug, für Sy-stem hielt. Gegen die, die dies glauben, lässt sich folgendes einwenden:
1) Das gesamte Handeln des menschlichen Geistes und die Gesetze dieses Handelns sind bei Kant nicht systematisch aufgestellt, sondern bloß aus der Erfahrung aufgegriffen. Man kann daher nicht sicher sein[,]
A) dass diese Gesetze des notwendigen Handelns des menschlichen Geistes erschöpft sind, weil er sie nicht bewiesen hat;
B) wie weit ihre Gültigkeit sich erstrecke;
C) Die merkwürdigen Äußerungen des menschlichen Geistes: Denken, Wollen, Lust oder Unlustempfinden sind nach Kant nicht aufs erste zurückgeführt, sondern sind koordi-niert.
2) Das, worauf es hauptsächlich ankommt, nämlich zu beweisen, dass und wie unsern Vorstellungen objektive Gültigkeit zukomme, ist nicht geschehen. Die Kantische Phi/lo-sophie ist nur durch Induktion, nicht aber durch Deduktion bewiesen. Sie sagt: Wenn man diesen oder jene Gesetze annehme, wäre das Bewusstsein zu erklären; sie gilt daher nur als Hypothese.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S.5f.
J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S.5f.
Nota I. - Kants Induktion führt ihn nur bis zu den Kategorien. Er hat sie im Material 'aufgefunden' und stellt sie zusammen; nebeneinander. Aber schon, weshalb es genau diese zwölf sein müssen, wird nicht demonstriert und nicht deduziert. Schon gar nicht wird deduziert, woher sie stammen. Es sind vier mal drei, das sieht gut aus, aber mehr Evidenz haben Kants Kategorien nicht für sich.
28. 5. 16
Nota II. - Das ist nun nicht so zu verstehen, dass F. sein System der Wissenschaftslehre im Ganzen deduziert hätte. Woraus denn? Aus einem Glaubenssatz?
F. ist ja Kants kritischem Weg gefolgt: Faktischer Ausgangspunkt und logische Vorausset-zung ist, dass Vernunft ist. Kants unausgesprochene Annahme ist: Vernunft 'ist' nicht nur 'da', indem sie im Verkehr der vernunftbeflissenen Leute untereinander vermittelnd gilt, sondern sie& ist, weil sie objektiv gilt. Letzteres ist auf induktive Weise freilich nicht zu erweisen, und das ist der Mangel an Kants Verfahren.
Fichtes Lösung besteht darin, dass er Kants Induktion umkehrt und als Reduktion auf einen Punkt führt, wo es nicht weiter geht. Nachdem alles Faktische (=Kontingente) aus den Sätzen der Vernunft ausgeschieden ward - auch noch aus dem nur scheinbaren Apri-ori! -, bleibt übrig... nur die Satzform selbst. Eines prädiziert ein Anderes. Es ist der ur-sprüngliche, stiftende Akt.
Dies wird ihm zum Ausgangspunkt seiner Deduktion. Wenn es möglich ist, aus diesem aufgefundenen Ersten Grundsatz das ganze faktisch gegebenen System der Vernunft herzuleiten, ist der Kreis geschlossen. Von innen ist der Bering der Vernunft dann nicht zu sprengen.
Oder anders: Vernunft ist nur durch Unvernunft angreifbar. Sie wird sich dann verteidi-gen müssen...
JE 6. 6. 18
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