Montag, 30. Juni 2025

'Gesellschaftlich notwendige' Arbeit ist ein Durchschnitt

                                                           aus Marxiana

Sie zählt jedoch nur, soweit die zur Produktion des Gebrauchswerths verbrauchte Zeit ge-sellschaftlich nothwendig ist. Es umfaßt dieß Verschiednes. Die Arbeitskraft muß unter normalen Bedingungen funktioniren. Ist die Spinnmaschine das gesellschaftlich herrschen-de Arbeitsmittel für die Spinnerei, so darf dem Arbeiter nicht ein Spinnrad in die Hand ge-geben werden. Statt Baumwolle von normaler Güte muß er nicht Schund erhalten, der je-den Augenblick reißt. In beiden Fällen würde er mehr als die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit zur Produktion eines Pfundes Garn verbrauchen, diese überschüssige Zeit aber nicht Werth oder Geld bilden. Der normale Charakter der gegenständlichen Arbeitsfaktoren hängt jedoch nicht vom Arbeiter, sondern vom Kapi-talisten ab. 

Fernere Bedingung ist der normale Charakter der Arbeitskraft selbst. In dem Fach, worin sie verwandt wird, muß sie das herrschende Durchschnittsmaß von Geschick, Fertigkeit und Raschheit besitzen. Aber unser Kapitalist kaufte auf dem Arbeitsmarkt Arbeitskraft von nor-maler Güte. Diese Kraft muß in dem gewöhnlichen Durchschnittsmaß der Anstrengung, mit dem gesellschaftlich üblichen Grad von Intensivität verausgabt wer-den. Darüber wacht der Kapitalist eben so ängstlich, als daß keine Zeit ohne Arbeit vergeudet wird. Er hat die Ar-beitskraft für bestimmte Zeitfrist gekauft. Er hält darauf das Seine zu haben. Er / will nicht bestohlen sein. Endlich – und hierfür hat derselbe Herr einen eignen code pénal – darf kein zweckwidriger Consum von Roh-material und Arbeitsmitteln stattfinden, weil vergeudetes Material oder Arbeitsmittel überflüssig verausgabte Quanta vergegenständlichter Arbeit dar-stellen, also nicht zählen und nicht in das Produkt der Werthbildung eingehn. 
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K. Marx, Das Kapital I, MEGA II/5, S. 145f.


Nota. - Was als 'gesellschaftlich notwendig' zu gelten hat, lässt sich gar nicht so leicht in einen Begriff fassen. Dabei ist es reell ziemlich simpel: Es zeigt sich als Durchschnitt; nämlich auf dem Markt.
JE, 25. 12. 15

 

 

Sonntag, 29. Juni 2025

Das Gefühl ist ein Widerstand gegen die Selbstaffektion des Vernunftwesens.

Cartier-Bresson, Hitzewelle, Boston 1947                            zu Wissenschaftslehre... 

Anmerkung 2. Kant sagt einmal, es würde sonderbar scheinen, dass ein Vernunftwesen sich selbst affizieren solle; aber wenn man dasselbe genau kennt, so fällt diese Sonderbarkeit weg, denn das Wesen der Vernunft besteht darin, dass es auf sich selbst handle. Eher könnte man fragen, wie diese Selbstaffektion im Bewusstsein vorkommen solle; gegen sie findet sich ein Widerstand, der überwunden werden soll; diese Äußerung heißt Gefühl.
______________________________________________________________________ J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 127



Nota I. - Da sagt er ziemlich unverhohlen: Der Begründer der Vernunftkritik hat die Ver-nunft nicht genau gekannt. Er hat aber Recht. Ohne diese Fähigkeit der Selbstaffektion wäre die Vernunft ohnmächtig. Aber eine Vernunft ohne Macht ist keine. - Tatsächlich ist Kant über das Verhältnis des realen Selbst zum transzendentalen Ich mit sich nicht im Rei-nen; nämlich nicht über das Wollen als Bestimmungsgrund des letzteren. 
29. 11. 16
 
Nota II. - Ist es eine Volte am Rande der Rabulistik? Das Argument geht eigentlich ja so: 'Zu Anfang' ist das Ich nicht anders bestimmt denn als Agilität überhaupt. Solange es sich keinen Gegenstand entgegen gesetzt hat, geht seine Tätigkeit wenn anders sie denn real sein soll auf es selbst. Selbstaffektion wäre gewissermaßen der Defaultzustand des Ich. 
 
Der kann fortfallen nur durch ein Gefühl, welches entsteht, indem das Ich auf ein NichtIch stößt, welches ihm einen Widerstand entgegensetzt. Es müsste nämlich weitergehen: Seiner eigenen Tätigkeit setzt das Ich ja keinen Widerstand entgegen, ein Gefühl könnte erst ent-stehen, indem die Tätigkeit des Ich 'durch das NichtIch hindurchgegangen'  ist und als des-sen Widerstand reflektiert wird.

Vor Spitzfindigkeiten hat Fichte nicht haltgemacht. Vor Haarspaltereien wohl schon.
JE 22. 4. 22
 
 
 
 

Samstag, 28. Juni 2025

Der ideale Durchschnitt als Begriff.

                                                                      aus Marxiana

In der Darstellung der Versachlichung der Produktionsverhältnisse und ihrer Verselbstän-digung gegenüber den Produktionsagenten gehn wir nicht ein auf die Art und Weise, wie die Zusammenhänge durch den Weltmarkt, seine Konjunkturen, die Bewegung der Markt-preise, die Perioden des Kredits, die Cyklen der Industrie und des Handels, die Abwechs-lung der Prosperität und Krise, ihnen als übermächtige, sie willenlos beherrschende Natur-gesetze erscheinen und sich ihnen gegenüber als blinde Nothwendigkeit geltend machen. Deßwegen nicht, weil die wirkliche Bewegung der Konkurrenz außerhalb unsers Plans liegt, und wir nur die innere Organisation der kapitalistischen Produktionsweise, sozusagen in ihrem idealen Durchschnitt, darzustellen haben. 
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K. Marx, Das Kapital III, MEGA II.15S. 805 [MEW 25, S. 839]  

 
 

Nota. - Alfred Sohn-Rethel (in Geistige und körperliche Arbeit) hat für den 'Wert' den Be-griff Realabstraktion geprägt; das ist gut, weil es paradox klingt. Allerdings nur dann gut, wenn man sich klarmacht, dass der Begriff für jeden statistischen Durchschnitt gilt: Er er-scheint nirgends, er muss, wenn es überhaupt möglich ist, errechnet werden. Aber er wirkt doch. (Oder besser gesagt: Alles, was wirklich wirkt, 'erscheint' gemeinsam nur als errech-neter Durchschnitt.)
JE, 19. 12. 15

 

 

Freitag, 27. Juni 2025

Sobald man sich verständigen muss, wird verstehen unerläßlich.

Süddeutsche                                                                                        zu

"Das grundlegende Interesse am Anderen ist etwas Menschentypisches" - da hat wohl ein Wissenschaftler seiner Sentimentalität den Vortritt gelassen. Das Interesse am Andern - wie geht es dir, was empfindest du im Hier und Jetzt? - hatten alle Tiere, bevor sie die ersten ge-stischen oder tonalen Symbole erfanden, längst in Mimik und Körpersprache gepackt, wo sie nicht nur ausreichen, sondern sogar deutlicher sind als Worte, die lügen können. 

Gleich fällt auch die Rolle der sozialen Kommunikation beim Nahrungserwerb ein, nament-lich der gemeinsamen Jagd. Doch so viele Tierarten jagen in Gruppen, ohne auf Worte an-gewiesen zu sein!

Wie geht das? 

In den Umwelten, in denen sie sich seit Jahrtausenden eingerichtet haben, hat alles, was be-gegnet, seine angestammte Bedeutung. Eigentlich verständigen muss man sich da nicht, sondern allenfalls auf das eine oder andere hinweisen. Die Kommunikation ist rein demon-strativ, zum Fragen, Erwägen und Verneinen gesteht kaum Anlass.

Ganz anders unsere Vorfahren, als sie sich auf die Hinterfüße stellten und ihre angestammte Urwaldnische im afrikanischen Graben verließen. Sie hatten nicht eine Nische gegen eine andere Nische getauscht, sondern hatten sich als Vaganten eine weite Welt eröffnet, in der nichts eine angestammte Bedeutung hatte, wo man für alles eine Bedeutung erst neu erfin-den musste - und sich mit andern darüber austauschen. Dafür ist die Entwicklung von kom-plexer artikulierter Sprache nötig. Es geht um die Verständigung über die Bedeutungen in der Welt. Und kein anderes Lebewesen braucht das; nur wir.
aus Reden könnten sie wohl; sie wissen nur nicht, worüberJE, 25. 9. 17

Nachsatz. - Verstehen ist die Bedingung der Symbolisierung; doch Symbolisierung ist sein Zweck: Anders gäbe es weder Verständigung noch Selbstverständigung.
JE, 21. 4. 22

 

 

Donnerstag, 26. Juni 2025

Der Durchschnitt ist's, der gilt.

partnerschaftskaffee                                                   aus Marxiana

Es ist nun entscheidend wichtig, daß während der Dauer des Prozesses, d. h. der Verwand-lung von Baumwolle in Garn, nur die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit verzehrt wird. Müssen unter normalen, d. h. durchschnittlichen gesellschaftlichen Produktionsbedin-gungen, a Pfund Baumwolle während einer Arbeitsstunde in b Pfund Garn verwandelt sein, so gilt nur der Arbeitstag als Arbeitstag von 12 Stunden, der 12 × a Pfund Baumwolle in 12 × b Pfund Garn verwandelt. Denn nur die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit zählt als werthbildend
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K. Marx, Das Kapital I, MEGA II/5,  S. 140
 

Nota. – In der bürgerlichen Gesellschaft gilt, was zählt; und das ist der Durchschnitt: für den sorgt der Markt.
 26. 12. 15

Nota II. Der Durchschnitt gilt im Allgemeinen. Im Besondern kommt es aber an auf die Abweichung vom Durchschnitt, der nur ihretwillen Bedeutrung hat: nicht auf den 'Wert', sondern auf den Mehr wert. Der wird in abstracto gesetzt im Austausch von diesem Kapital mit dem Arbeitsvermögen dieses Arbeiters; aber realiter bestimmt im Austausch dieser Wa-re mit dieser Geldsumme. Weiter noch: Erst auf dem allgemeinen Markt wird der Unter-schied von Wert und Mehrwert realisiert als individueller Profit - der bitte über dem Durch-schnitt liegen wolle. Der Durchschnitt ist Realität nicht selbst als Sache, sondern als deren Maß, das im faktischen Austausch erst aktualisiert wird.
JE

 

Mittwoch, 25. Juni 2025

Begriff: Inhalt und Umfang

                                                        aus Philosophierungen

1. intentio klass.: Absicht
2. intentio m.a.: Bedeutung
3. tertium: Hinsicht

Der Mittelbegriff (tertium) zu intensio und extensio ist intentio. Wäre intentio ein isomor-pher Stoff wie Macchiavellis "virtù", dann wären die beiden andern einander umgekehrt proportional.

Sind sie aber nicht. Die Intentio ist jeweils singulär. Sie ist "Anteilnahme";* die hat Grade, aber keine 'Ausdehnung'.

aus e. Notizbuch, im Mai 09

*) Platos méthexis.




Nota.
Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Dienstag, 24. Juni 2025

Der Gebrauch der Arbeitskraft ist die Arbeit selbst.

                                                                                            aus Marxiana 

Der Gebrauch der Arbeitskraft ist die Arbeit selbst. Der Käufer der Arbeitskraft konsumirt sie, indem er ihren Verkäufer arbeiten läßt. Letztrer wird hierdurch actu sich bethätigende Arbeitskraft, Arbeiter, was er früher nur potentia war. Um seine Arbeit in Waaren darzu-stellen, muß er sie vor allem in Gebrauchswerthen darstellen, Sachen, die zur Befriedigung von Bedürfnissen irgend einer Art dienen. Es ist also ein besondrer Gebrauchswerth, ein bestimmter Artikel, den der Kapitalist vom Arbeiter anfertigen läßt. Die Produktion von Gebrauchswerthen, oder Gütern, ändert ihre allgemeine Natur nicht dadurch, daß sie für den Kapitalisten und unter seiner Kontrole vorgeht. Der Arbeitsprozeß ist daher zunächst in seinen abstrakten Momenten, unabhängig von jeder bestimmten gesellschaftlichen Form zu betrachten. 

Der Arbeitsprozeß ist zunächst ein Prozeß zwischen dem Menschen und der Natur, ein Pro-zeß, worin er seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne That vermittelt, regelt und kontrolirt. Der Mensch tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form zu as-similiren. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit.
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K. Marx, Das Kapital I, MEGA II/5, S. 129 


Nota. - Was unmittelbar 'nichts als' Arbeit wäre, nämlich zweckmäßige Tätigkeit eines Le-benden an totem Stoff, erscheint durch die Marktbeziehung vermittelt 'so, als ob' sie die Vergegenständlichung eines abstrakten Vermögens wäre, das durch das Dazwischentreten des Abstraktums Geld aus bloßer Virtualität zur Wirklichkeit erst erweckt werden musste. Es ist eine verkehrte Welt, in der ein Wirkliches erst durch den Begriff und als Begriff zu irdischem Dasein gelangt. 

Der gesunden Menschenverstand schaut da nicht durch, denn irgendwie ist der ideelle Schein auch real.
JE 

 

Sonntag, 22. Juni 2025

System bei Marx und Fichte.

                                  zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Kant hatte die metaphysischen Systeme des Rationalismus an ihrer Wurzel ausgerissen. Die Idee, aus gegebenen Begriffe ein System zu bauen, war seither in Misskredit.

Der Drang, nach geleisteter Kritik die aufgefundenen Rudera der Vernunft zu einem System wieder aufzubauen, hat er sich zunächst verkniffen. Doch nachdem Fichte daran gegangen war, in der Wissenschaftehre die Vernunft als System neu zu rechtfertigen, begann er in sei-nem Opus postumum seinerseits damit - ohne jedoch über mannigfaltige Anfänge je hinaus-zukommen. Immerhin hat er sich dazu durchgerungen, seinen Bemühungen mit Wissen-schaftslehre in einem vollständigen System aufgestellt einen abschließenden Namen zu ge-ben, in dem erkennbar ist, wem er den Anstoß dazu verdankte.

Doch konnte er ansetzen an den Resultaten der Kritik, die er selber geleistet hatte.

Hegel tat dann so, als habe es diese Kritik nie gegeben. Die Idee, nicht bloß die Vernunft, sondern die ganze Welt als ein  System aufzufassen, schien ihm der Rechtfertigung nicht zu bedürfen; wenn schon System, dann nur ein Ganz Großes. Und so setzte er die Welt als ein Großes Ganzes seinem Verfahren selbstverständlich voraus. 

Das erschien ihm als der entscheidende Vorzug von Schelling vor Fichte, und diesen wollte er widerlegen, indem er ihn überbot. Dahinter steckte wohl auch seine Beteiligung am soge-nannten Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus, dessen Titel nicht vom Au-tor,* sondern den Herausgebern im 20. Jahrhundert stammt.

*

Wirkliches Wissen beruht auf einer Anschauung. Aber Anschauung selbst gibt noch kein Wissen. Sie ist diffus, ephemer und undeutlich. Ihre Gestalten können nicht festgehalten werden und zerfließen in einander. Sie müssen identifiziert werden, um sie ja nach Absicht unterscheiden und planmäßig neu zuammensetzen -, schlicht: um mit ihnen operieren zu können.

Das dafür erdachte Werkzeug sind die Begriffe. Sie treten zur bloßen Anschauung hinzu, um sie in Erfahrung zu wenden. 

Nicht auf Begriffen, sondern auf Erfahrung beruht die Vernunft. Die englischen Sensuali-sten hatten Unruhe unter den rationalistischen Kontinentalen gestiftet, indem sie propagier-ten,  die Begriffe der Vernunft beruhten selber auf Erfahrungen, und auf sonst nichts.

David Hume hatte Kant gezeigt, dass das ausschlaggebende Kriterium aller Erfahrung, nämlich die Kausalität, nicht ihrerseits Erfahrungstatsache sein könne, sondern ihnen vor-ausgesetzt werden müsse. Seine Kritik legt frei, wie die angeschauten Bilder in der Vorstellung zu brauchbaren Figuren "bestimmt" weden, nämlich im Durchgang durch das, was er das Apriori nannte - zwölf Kategorien und zwei Anschauungsformen.

Wo wir die herhaben, ließ er absichtsvoll offen ("um zum Glauben Platz zu bekommen"), aber Fichte war noch nicht bereit, den Glauben in die wissenschaftliche Philosophie wieder einzuführen, aus der Kants ihn doch eben erst entfernt hatte.

Kurz gesagt, Fichte weist auch das Apriori der menschlichen Eindbildungskraft zu und sucht nach seinen Gründen - indem er auch hier alle Bestimmungen, die die Menschen in ihre  Anschauungen Schritt für Schritt hineingetragen haben, von ihnen wieder, abzieht bis nichts Abziehbares übrifbleib als der Akt des Bestimmens selbst.

Wenn die Vernunft gerechtfertigt sein soll, muss sie samt und sonders auf einem Grund beruhen, der alle folgenden Bestimmungen tragen konnte; mit andern Worten: Wenn sie Ein System ist.

Es kommt freilich auf den glückenden Versuch an. Die Wissenschaftslehre ist dieser Versuch. Dass die Vernunft System ist, durfte nicht vorausgesetzt, sondern analytisch aufgefunden werden. Das System wird erwiesen, wenn der Wiederafbau durch das hinzufügen der zuvor abgezogenen Bestimmungen gelingt. Indem nämlich die originären bildhaften Vorstellungen zu Begriffen allerest gefasst werden.

Das ist nicht einfach die Nacherzählung vom historischen Werden der Vernunft, wie es eben auf uns gekommen ist, sondern die Vergewisserung ihres Herkunftsgrunds und eo ipso Rechtfertigung ihres allgemeinen Geltungsanspruchs.

* 

Das war Hegel nicht genug. Nicht erst, dass dieses System noch unvollendet war, sondern die janze Richtung hat ihm nich jepasst. Schelling bot einen Ausweg, und zeitlebens hat er sich beschwert, dass Hegel ihm die Ideen geklaut und doch den Ruhm dafür davongetragen hätte. 

Schelling war weniger logisch-konstruktiv als intuitiv-mythisch veranlagt, und kam auf die ganz eigene Idee, dass man was von oben nach unten, auch von unten nach oben darstellen  könnte: Vom Fichte'schen Ich aufwärts zum spinozischen deus sive natura, und davon wieder abwärts. Das war ihm synthesis genug.  

Aber nicht Hegel. Wie seit Plotin alle Neuplatoniker, begann er am Sein, und leitete all des-sen Gestaltungen daraus her. Aus unbestimmtem Sein individuieren sich die Einzelbestim-mungen. Ei, wer bestimmt? Das Sein sich. Wie das Sein dazu kommt, bleibt in Plotins po-etischer Rhetorik ganz in der Schwebe; aufgefasst wurde es als "Überschießen", Emana-tion.

Bei Schelling las sich das so: Man müsse das Subjekt auch als Objekt fassen - nämlich die Wissenschaftslehre als umgekehrte Ethica more geometrica demonstrata. "Identitätsphi-losophie" nannte er das.**

Er heftete beide einfach an einander, und einem mythischen Nacherzähler mochte das rei-chen. Doch Hegel war ein spekulierender Räsonneur, dem reichte das nicht. Man dürfe Narrative (kennen Sie?) nicht einfach nebeneinander stellen, sondern als ein und dasselbe darstellen: Man müsse, so heißt es, wenn ich nicht irre, in der Vorrede zur Phänomenologie, das Objekt "auch als Subjekt fassen"!

Retour à la case départ: Wir haben den platonischen Dogmatismus des gesunden Men-schenverstands als fine fleur der dialektischen Spekulation. M. a. W., wahr ist das Wirkliche. Seit Hegel und bis heute ist der Systemgedanke in der deutshcen Philosophie verrufen. 

* 

Genug von Hegel. Marx hat zwar gestanden, von dem 'hergekommen' zu sein, es kömmt aber darauf an, dass er bei ihm nicht geblieben ist. Er ist gottlob über den hinausgegangen, indem er hinter ihn zurückgegriffen hat.

Ohne es zu wissen, denn Hegels Urheber Fichte hat er nachweislich gar nicht gekannt.

Zuerst: Das System, das Marx in seiner Kritik beschreibt, ist nicht 'die ganze Welt', nicht einmal die kapitalistische Wirtschaftsweise, sondern deren Theorie von sich selbst. Nicht wie sie ist, sondern wie sie von sich redet.

Nicht wie die Welt ist, sondern wie sie sich begreift. Die bürgerliche Welt ist unstrittig: Warentausch. Sie begreift ihn als Austausch gleicher Werte. Ihr eigentliches Wesen spricht sie aus als Wertgesetz.

Wenn aber das Wertgesetz gälte, wenn also alle Güter sich tauschten nach Maßgabe der in ihnen erhaltenen Arbeit - so hat Engels vor Marx erkannt -, dann könnte es Kapital gar nicht geben, denn das besteht darin, dass irgendeine Geldsumme getauscht wird gegen irgendeine Ware, die mehr Geld einbringt. Übervorteilung der einen würde auf dem Markt durch Extravorteile der andern aufgewogen, so dass ein Mehr wert nie und nirgends ent-stehen könnte.

Es gilt daher nicht, den Wert nach seinen Bestandteilen zu analysieren; das hat die Politische Ökonomie seit ihrem Entstehen durch semantische Subtilitäten um die Arbeit erfolglos ver-sucht; sondern die faktisch-historische Herkunft des Mehr werts bloßzulegen: Woher der Wert kommt, ergibt sich daraus eo ipso.

Worin liegt aber die Pointe? Das alles ist keine Folge einer Verschränkung von Begriffen, sondern des wirklichen Verhaltens wirklich tätiger Subjekte. Das ist der Grund des kriti-schen Marxschen Systems. Von Hegel trennt ihn dessen Selbstbewegung des Geistes und Umschlagen der Begriffe. Mit Fichte verbindet ihn das Auffinden des Grundes in der ab-sichtsvollen Tätigkeit historischer Menschen. Und anders ist gar kein Sinn ins historisch-Wirkliche hineinzufinden. Es ist der Sinn, der ein System zu einem solchen macht.

*) Verfasser war Hölderlin. Von Hegel ist wohl nur die Reinschrift - und evtl. ein Abschreibfehler. 
**) Jacobi hat Fichtes System einen umgekehrten Spinozismus genannt; aber in einem subtileren Sinn. 

A priori, a posteriori.

 fotocommunity                                                        zu  Philosophierungen
 
Wirkliches Wissen ist natürlich immer a posteriori. Das hat Kant nicht bestritten. Er hat sei-ne Unterscheidung nicht naturalistisch gemeint - so als gäbe es ein biologisch verankertes Vermögen der "apriorischen" und eines der "aposteriorischen" Erkenntnis.* Das wirkliche, empirisch konstatierbare 'Erkennen' ist immer nur Eines; hic et nunc. Aber in dem Moment, in dem ein Erkenntnisakt stattfindet und sich auf ein vorfindliches Etwas bezieht, sind im Subjekt immer schon eine ganze Reihe von Prämissen angesammelt, die Form und Gehalt der neuen Erkenntnis präfigurieren. Das ist die sozusagen 'phänomenale' Ausgangslage.

Die "transzendentale" Fragestellung ist rein kritisch: Wissen kann nicht zustande kommen, indem 'Information' aus dem Objekt quasi wie ein Postpaket "abgeht" und im Subjekt wie in einem Behältnis "ankommt". Dann müsste man sich das Objekt als einen 'Absender' vor-stellen - und also selber als ein Subjekt. Subjekti(vi)tät muss also als das Prioritäre - das, was apriori 'da' ist - vorgestellt werden. 'Objektität' ist also das, was sekundär - aposteriori - 'hin-zu' kommt. Dann müsste man in der Realgeschichte des empirisch vorfindlichen Wissens gedanklich alles Objektive nach und nach 'abtragen' können und am Ende auf das 'rein Sub-jektive' stoßen: dasjenige, dem keine Begegnung mit Objektivem voraus gegangen ist, son-dern selbst das eigentlich Agile (
=dasjenige, von dem die 'Bewegung' ausging) war. Was je-weils als 'apriori' und was als 'aposteriori' erscheint, hängt von der Reflexionsebene ab.

Am untersten Ende der Analyse, auf der "transzendentalen" Ebene, wo von allem Gegen-ständlichen schon abstrahiert wurde, bleiben der analysierenden Intelligenz nur die "Vermö-gen" übrig; aber nicht als etwas, das man (als 'gegenständlich') angetroffen hat (und im psy-chologischen Test nachweislich ist), sondern als etwas, das man schlechterdings annehmen muss: denn da 'Erkenntnis' offenkundig geschieht, muss man notwendiger Weise anneh-men, dass es ein 'Vermögen' dafür gab!

(Bei Kant sind es drei; die 'reine', theoretische und die 'praktische' Vernunft sowie die Ur-teilskraft. Die Frage, ob es sich vielleicht nur um verschiede Modi, verschiedene 'Seiten' des einen Grundvermögens handelt, hat er sich zwar gestellt, aber bearbeitet hat er sie nicht mehr.)
aus e. online-Forum; in 2007

*) und schon gar nicht, als gäbe es 'von Natur' zwei Klassen von Gegenständen: die apriorischen und die aposteriorischen...
31. 1. 25 
 
 

Samstag, 21. Juni 2025

Wenn - dann, weil - darum: Der feste Standpunkt der Vernunft.

Guercino, Atlas                                                                                         aus Philosophierungen

Er schreibt - philosophisch, wie er sagt - über Determinismus und Zufall, ohne dass das Wort Kausalität auch nur einmal fällt. Vermutlich geht er in den folgenden Abschnitten seines Buches darauf ein, doch für heute muss ich Sie mit meinen eigenen Worten beschei-den:

Dass alles, was auf der Welt geschieht, eine hinreichende Ursache hat, ist mir so selbstver-ständlich wie Ihnen. Doch das war es den Menschen, die vor uns lebten, nicht immer, und in manchen Teilen der Erde ist es das noch heute nicht. Es ist aber das, was uns im Alltags-gebrauch die Vernünftigkeit unseres gesellschaftlichen Verkehrs verbürgt.

Die frühen Vertreten der Familie Homo und noch heute manche Gruppen der Familie H. sapiens halten dagegen die Dinge, die ihnen in der Welt begegnen, für so beseelt, wie sie es selber sind, und das heißt: mit einem eigenen Willen begabt, was für sie aber nichts anderes bedeutet als: dass sie unberechenbar sind. Doch besänftigen und bei guter Laune halten kann man sie vielleicht; man muss es jedenfalls versuchen, etwas anderes kommt noch nicht in Betracht. 

Das ist die mentale Welt des Animismus, die seit dem triumphalen Aufstieg der Vernunft im 17. Jahrhundert untergegangen ist, jedenfalls in den westlichen Gesellschaften. Und warum?

Bis in die Neuzeit hinein ist das Leben bestimmt von der Landwirtschaft. Und die hängt allerdings ab von Zufällen aller Art. Nein, objektiv betrachtet sind Wetter und Klima natür-lich jederzeit determiniert durch ihre Ausgangsbedingungen. Die können aber selbst heutige Wissenschaftler nicht mit letzter Genauigkeit ausmachen, und schon gar nicht der mittelal-terliche Bauer, der bang nach jedem scheinbaren Anhaltspunkt schaut und allerlei Aberglau-ben erliegt.

Die Realität der westlichen Menschen ist aber der gesellschaftliche Verkehr miteinander. Den gilt es weniger kausal zu begreifen als willentlich zu lenken und bestimmen. Nicht 'die Natur' herrscht, sondern die willensbegabten Menschen. Und die wissen: Wenn ich jenes will, muss ich dieses tun. Und das ist die erfahrungsmäßige Grundform des Kausalitätsprin-zips. Bevor man theoretisch darüber reflektieren konnte, hatte es längst praktische Gewalt über die Menschen errungen.

Und nun können wir sagen: Bei aller pragmatischer Berechtigung ist die Vorstellung von der Kausalität nicht so vernünftig, wie sie glaubt. Und als Kant sie im Gefolge von David Hume auf ihre Berechtigung prüfte, merkte es schnell: Die Vernunft selber ist auch nicht selbstverständlicher! Sie beruht vielmehr auf Voraussetzungen, die erst durch gründliche Reflexion bloßzulegen sind.

Kant nennt diese Voraussetzungen das Apriori und lässt es dabei bewenden. Wann und wie wir es uns zugezogen haben, hat er nicht mehr untersucht. Die radikale Fortsetzung der Kritischen Philosophie durch J. G. Fichte zeigt auf, dass nicht erst die Verwendung des Apriori durch die Menschen behufs ihrer Erfahrungen von ihnen selbstgemacht ist, son-dern - das Apriori selbst.

Determinismus, Kausalität, Notwendigkeit, Möglichkeit, Zufall, Gesetz - das sind keine re-alen Sachverhalte, sondern Vorstellungen, die zweckmäßig sind, sofern man gewisse Zwek-ke verfolgt. Ihre Verwendung im Denken ist je zu rechtfertigen durch die Rechtfertigung der verfolgten Zwecke.

Kommentar zu Quantensinn und Quantenunsinn JE28. 6. 20

'Gesellschaftlich notwendige' Arbeit ist ein Durchschnitt

                                                            aus Marxiana Sie zählt jedoch nur, soweit die zur Produktion des Gebrauchswert...