Samstag, 13. September 2025

Apagogische Dialektik.

                                                                               zu Marxiana

Kapital kann also nicht aus der Zirkulation entspringen, und es kann ebensowenig aus der Zirkulation nicht entspringen. Es muss zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen. 
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K. Marx, Das Kapital I, MEW 23, S. 180 


Nota. - Das ist ein di/lemma: ein Wegweiser, der zugleich in zwei direkt entgegengesetzte Richtungen zeigt. Oder eine a/porie - eine Kluft, wo es 'keine Brücke' gibt?

Man muss die Reflexionsebene wechseln: Vielleicht findet sich bei höherer Abstraktion ein Gesichtspunkt, unter dem sich beide Aussagen vereinigen lassen. Auf dem gegenwärtigen Gesichtspunkt erscheinen Produktion und Zirkulation als zwei getrennte Bereiche: Die ein-zelne Ware befindet sich zuerst in dem einen und dann in dem andern. Betrachten wir aber den Gesamtprozess, dann handelt es sich nicht um eine Reihe von 'Schritten', sondern um einen Fluss, in jedem zu betrachtenden Moment geschieht alles gleichzeitig und auf einmal: In der Wirklichkeit des Zeitverlaufs ist die bürgerliche Gesellschaft Produktions- und Zirku-lationprozess zugleich. Auf diesem Standpunkt kann das Kapital aus der Zirkulation ent-springen und nicht aus ihr entspringen.

So kann auch einer räsonnieren, der von Hegelscher Dialektik imprägniert ist: 'Auflösung des Widerspruchs in einer höheren Einheit'. Allerdings muss er, wenn er das System der bürgerlichen Gesellschaft betrachtet, stillschweigend von der spiritualistischen ('idealisti-schen', sagt Marx) Prämisse Abstand genommen haben, dass dieser Aufstieg in eine höhere Einheit von den Begriffen selbst besorgt würde. Es ist 'der Ökonom', der Kritiker der Poli-tischen Ökonomie, der sich auf einen höheren Standpunkt begibt - und den ökonomischen Dogmatikern vorwirft, es nicht zu tun.

Marx hat, wie er beabsichtigte, die Dialektik der "Mystifikationen" entkleidet, die sie unter Hegels Hand erfahren hatte; befreit von dem Zusatz, durch den jener verschleiern wollte, dass das Original... bei Fichte geklaut war. Bei Fichte sind es nicht die Vorstellungen (die 'Begriffe' schon gar nicht), die sich vorwärtsbewegen, sondern es ist immer der Vorstel-lende, der handelt; und es ist 'der Philosoph', der seinen Vorgang reflektierend begleitet - und dabei von einer Abstraktionsebene zur nächsten aufsteigen muss.

Ursprünglich, bei Fichte, war Dialektik kritisch. Unter Hegel wurde sie dogmatisch.* Bei Marx wird sie wieder kritisch.
14. 12. 16


*) posi/tiv: konstruk/tiv.




Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE

Freitag, 12. September 2025

Kritik ist immer ad hominem.

kurier                                                                     aus Marxiana

Apagogik ist die naturgemäße Form der Kritik. 'Kritik' heißt: ein Gebäude ("System") von Aussagen auf seine Tragfähigkeit prüfen: seine Gründe aufsuchen und darüber urteilen, ob sie zureichend sind. Und das geht nun einmal nicht anders, als dass man es ausprobiert: d. h. die 'Gründe' zunächst einmal als solche voraussetzt und dann, Stein für Stein, darauf aufbaut. Dass die Gründe nicht reichen, um das Gebäude zu tragen, kann nur so bewiesen werden, dass man vorführt, wie es während des Bauens zusammenbricht: Es ist 'praktische' Demonstration.

Kritik trägt darum immer - und zwar weil sie Überprüfung von etwas schon-Gesetztem ist; als Re konstruktion, kein 'positiver' Neu-Bau - den Charakter eines argumentum ad homi-nem: hat negativen Charakter; denn ihre Konklusionen (nämlich soweit sie sachlich 'positiv' sind) gelten immer nur für denjenigen, der die Voraussetzung gemacht hatte, die jetzt zum Hinfall gebracht wurde. 

(Seine sachlichen Ausssagen - das "Gebäude" - könnten ja dennoch "richtig" sein - nämlich aufgrund andrer Voraussetzungen; freilich nicht aufgrund dieser.)
13. 2. 88

Nachtrag. Eine theoretische Demonstration beweist positiv: Sie baut Stein für Stein auf. Führt sie zum Ziel, hat sie ihre These bewiesen, nämlich allgemein. Das apagogische Ver-fahen ist eine praktische Demonstation: Sie beweist nur negativ - lediglich in Hinblick auf das Besondere, das sie widerlegt.
13. 12. 16

Die Kritik der Politischen Ökonomie führt deren Prämissen ad absurdum, indem sie sie bis zu ihren logischen Konklusionen führt. Sie ist kein Lehrbuch der Wirtschaftswissenschaft. Sie argumentiert gegen eine bestimmte Theorie, indem sie deren Voraussetzungen über-nimmt. Und ist lehrreich für alle, die an ihre Voraussetzungen glauben, sie aber noch nicht bis zu Ende gedacht haben.

Das Smith-Ricardosche System wird nicht mehr vertreten, nicht nur in seinen positiven Aussagen nicht, sondern gar nicht erst in seinem Anspruch: nämlich das kapitalistische Wirtschsaftssystem aus Begriffen erklären und zu rechtfertigen. "Volkswirtschaftslehre" besteht heute aus häufig wechselnden mathematischen Modellen von Wirtschaftspolitik. Sie wollen weder kritisieren noch rechfertigen, sie wollen funktionieren. Dass sie das nicht tun, weil die nächste Krise doch wieder unvorhergesehen eintritt, irritiert sie so wenig, wie eine theortische Widerlegung es täte. Sie versuchen es einfach nochmal, irgendwann muss es ja klappen.
29. 6. 20 

Donnerstag, 11. September 2025

Apagogische Dialektik, oder: Freiheit ist Verschwendung.

Picasso, Bacchanal                                                                                     aus Marxiana

Reichtum ist: die Zeit zu haben, etwas völlig Zweckloses zu tun, und darum ist "Reichtum" der Schlüsselbegriff der Kritik der Politischen Ökonomie - im Gegensatz zu "Wert" und "Arbeit": nicht die Verausgabung von Kraft, sondern Verschwendung: das ist Reichtum, Luxus, Freiheit... 

Dabei wäre also die Kritik eine Inquiry into the Very Nature of the Wealth Of Nations, weil nämlich der Begriff Reichtum als Leerformel übernommen wird: Es wird gewissermaßen "konzediert", dass es einen wissenschaftlich identifizierbaren Bereich namens 'die Ökono-mie' gebe, dessen Inhalt 'Erzeugung und Verteilung des Reichtums' sei - "was immer man auch einstweilen darunter verstehen wolle..."  

Der apagogische Charakter der Darlegung sieht so aus:

1. Es gibt ein identifizierbares Reich 'des Ökonomischen';

2. dessen Inhalt ist: Wesen und Ursache (=Produktion) des 'Reichtums'; 

3. Reichtum ist Tauschwert und Tauschwert ist Arbeit.

Das sind die dogmatischen Pfeiler der Politischen Ökonomie. Und die konzediert M. am Eingang seiner Darstellung (tatsächlich am Eingang seiner Untersuchung selbst), und dann widerlegt er die Bestimmung des Reichtums als "Wert"="Arbeit" durch eine consecutio ad absurdum: Er "reitet das Argument zu Tode", indem er die Konsequenzen in den Wider-spruch zu den Prämissen treibt: Das ist die Standardform apagogischer Beweisführung: eine Demonstration "ex concessis", aber keineswegs so, dass der Gegner auf Argumente festge-legt wird, die er mir zugeben muss, sondern so, dass ich ihm seine Prämissen einräume, und vorführe, dass auf diesem "Grund" kein Gebäude zu errichten ist.

Konkret: dass der Reichtum nicht (Wert=) Arbeit ist, sondern im Gegenteil der Überfluss im Gegensatz zur Arbeit (welche notwendige, naturbestimmte Tätigkeit ist, nicht freie = selbst-bestimmende).

Es liegt aber in der Natur des apagogischen Beweises, dass er zwar in concreto widerlegt, aber nicht - wo er positiv ist - seinen eigenen 'Standpunkt' (positio) 'begründet'; abstrakt ist: rein formal, "lemmatisch".

Also: Es zeigt sich, dass der 'Inhalt' des 'Reichtums' nicht, wie bei Smith/Ricardo, "Arbeit" ist, sondern 'Freiheit'; aber wo also "Bestimmung nach Naturgesetzen aufhört, da hört auch alle Erklärung auf, und es bleibt nichts übrig, als Verteidigung, d.i. "Abtreibung der Einwürfe derer, die tiefer in das Wesen der Dinge geschaut zu haben vorgeben, und darum die Frei-heit dreust vor unmöglich erklären." Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, B/A 121

So Vilfredo Pareto: "Le Capital n'est, par rapport au reste de l'oeuvre de Marx, qu'un appen-dice destiné à déblayer le terrain des objections qu'on pourrait faire à la doctrine [communiste] en se fondant sur l'économie politique." (zit. nach Alain Barrère, Histoire de la pensée éco-nomique et analyse contemporaines, Paris 1974, S. 433)

[Wobei zu beachten, dass M. am Beginn seiner kritischen Arbeit - teste Grundrisse bis "ur-sprüngliche Akkumulation" - die Prämissen - "Kategorien" - der Politischen Ökonomie nicht "zum Schein", sondern allen Ernstes eingeräumt hat: Er hat sich daran gemacht, "das Kapital" aus "dem Wert" [="der Arbeit"] zu "erklären" - und es ist ihm nicht gelungen - weil er auf das Faktum der Unfreiheit = 'Notdurft' = "urspüngliche Akkumulation" gestoßen ist!]

- Freileich: Wenn der 'Reichtum' nun nicht mehr positiv bestimmt ist, nicht (mehr) "kon-kret" erscheint, geht es auch nicht an, ihn als besonderen Bereich der "menschlichen Le-benstätigkeit" aufzufassen. Er ist dann aufgelöst ins Allgemeine: 'Setzen der Freiheit', und ergo verliert "die Ökonomie" ihren Status als besondere Wissenschaft - und wird zur Pro-pädeutik der Geschichtswissenschaft (welche die einzige ist, die "wir kennen", cf. Deutsche Ideologie) - insofern in ihr die "Anatomie der bürgerliche Gesellschaft" erscheint; sofern diese nämlich 'naturwüchsiges' Produkt der 'Notdurft' ist; während die jedoch zugleich 'als' Produkt der Freiheit 'gelten' soll, d.h. "praktisch": es werden soll.
aus e. Notuizbuch, 23. 11. 88 


Nachtrag. Eine theoretische Wissenschaft 'Politische Ökonomie' gibt es seither tatsächlich nicht mehr. Was jeweils als 'Volkswirtschaftslehre' o. ä. firmiert, ist eine Art Wirtschaftspo-litologie; eine technische Disziplin, die mehr oder minder mathematisierte Modelle entwirft, die es den Regierungen erlauben sollen, auf den Wirtschaftsverlauf gezielten Einfluss zu nehmen. Bisher hat noch jede die in sie gesetzten Erwartungen enttäuscht.
JE,
12. 12. 16

 

 

Mittwoch, 10. September 2025

Marx' apagogisches Verfahren.

Luca Giordano, Apoll häutet Marsyas                                                        zu Marxiana

Wie also wird der regulirende Preis des Arbeitslohns bestimmt, der Preis um den seine Marktpreise oscilliren? 

Wir wollen sagen durch Nachfrage und Zufuhr von Arbeitskraft. Aber von welcher Nach-frage der Arbeitskraft handelt es sich? Von der Nachfrage des Kapitals. Die Nachfrage nach Arbeit ist also gleich der Zufuhr von Kapital. Um von Zufuhr von Kapital zu sprechen, müssen wir vor allem wissen, was Kapital ist. 

Woraus besteht das Kapital? Nehmen wir seine einfachste Erscheinung: Aus Geld und Waaren. Aber Geld ist bloß eine Form der Waare. Also aus Waaren. Aber der Werth der Waaren ist nach der Voraussetzung in erster Instanz bestimmt durch den Preis der sie producirenden Arbeit, den Arbeitslohn. Der Arbeitslohn wird hier vorausgesetzt und behandelt als konstituirendes Element des Preises der Waaren. 

Dieser Preis soll nun bestimmt werden, durch das Verhältniß der angebotnen Arbeit zum Kapital. Der Preis des Kapitals selbst ist gleich dem Preis der Waaren, woraus es besteht. Die Nachfrage des Kapitals nach Arbeit ist gleich der Zufuhr des Kapitals. Und die Zufuhr des Kapitals ist gleich der Zufuhr einer Waarensumme von gegebnem Preis, und dieser Preis ist in erster Instanz regulirt durch den Preis der Arbeit, und der Preis der Arbeit ist seinerseits wieder gleich dem Theil des Waarenpreises, woraus das variable Kapital besteht, das an den Arbeiter im Austausch für seine Arbeit abgetreten wird; und der Preis der Waa-ren, woraus dies variable Kapital besteht, ist selbst wieder in erster Reihe bestimmt durch den Preis der Arbeit; denn er ist bestimmt durch die Preise von Arbeitslohn, Profit und Ren-te. Um den Arbeitslohn zu bestimmen, können wir also nicht das Kapital voraussetzen, da der Werth des Kapitals selbst durch den Arbeitslohn mit bestimmt ist. /

Außerdem nützt uns das Hereinbringen der Konkurrenz nichts. Die Konkurrenz macht die Marktpreise der Arbeit steigen oder fallen. Aber gesetzt, Nachfrage und Zufuhr von Arbeit decken sich. Wodurch wird dann der Arbeitslohn bestimmt? Durch die Konkurrenz. Aber es ist eben vorausgesetzt, daß die Konkurrenz aufhört zu bestimmen, daß sie durch das Gleichgewicht ihrer beiden entgegenstrebenden Kräfte ihre Wirkung aufhebt. Wir wollen ja gerade den natürlichen Preis des Arbeitslohns finden, d. h. den Preis der Arbeit, der nicht von der Konkurrenz regulirt wird, sondern sie umgekehrt regulirt. 

Es bleibt nichts übrig als den nothwendigen Preis der Arbeit durch die nothwendigen Le-bensmittel des Arbeiters zu bestimmen. Aber diese Lebensmittel sind Waaren, die einen Preis haben. Der Preis der Arbeit ist also durch den Preis der nothwendigen Lebensmittel bestimmt, und der Preis der Lebensmittel ist, wie der aller andern Waaren, in erster Linie durch den Preis der Arbeit bestimmt. Also ist der durch den Preis der Lebensmittel be-stimmte Preis der Arbeit durch den Preis der Arbeit bestimmt. Der Preis der Arbeit ist durch sich selbst bestimmt. In andren Worten, wir wissen nicht, wodurch der Preis der Arbeit bestimmt ist. 

Die Arbeit hat hier überhaupt einen Preis, weil sie als Waare betrachtet wird. Um also von dem Preis der Arbeit zu sprechen, müssen wir wissen, was Preis überhaupt ist. Aber was Preis überhaupt ist, erfahren wir auf diesem Wege erst recht nicht. 
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K. Marx, Das Kapital III, MEGA II/15, S. 836f. [MEW 25, S. 871f.]


Nota. - Apagogisch nennt man eine Beweisführung durch Negation des bestimmten Ge-gensatzes. Hier führt Marx die Erklärung des Preises der Arbeit durch den Preis der Lebens-mittel des Arbeiters ad absurdum. Es muss in der Umkehrung folgen das Auffinden des bestimmten Gegensatzes zu dieser Erklärung. 

Es wird nicht sein: eine andere Bestimmung des Preises, sondern: die Auffindung dessen, wovon die Lebensmittel des Arbeiters wirklich der Preis sind; nämlich nicht der Arbeit, sondern des Arbeitsvermögens. Eine positive Demonstration hätte man ihm glauben kön-nen oder nicht. Doch indem die bestimmte Negation, die ihrerseits der Dreh- und Angel-punkt der Politischen Ökonomie war, widerlegt wurde, werden mindestens die Politischen Ökonomen ihm glauben müssen.
JE, 22. 6. 20

Dienstag, 9. September 2025

Die ökonomische Grundmystifikation, alias Die Trinita-rische Formel.

taz                                                                                                        aus Marxiana

Im Kapital – Profit oder noch besser Kapital – Zins, Boden – Grundrente, Arbeit – Ar-beitslohn, in dieser ökonomischen Trinität als dem Zusammenhang der Bestandtheile des Werths und des Reichthums überhaupt mit seinen Quellen, ist die Mystifikation der kapita-listischen Produktionsweise, die Verdinglichung der gesellschaftlichen Verhältnisse, das un-mittelbare Zusammenwachsen der stofflichen Produktionsverhältnisse mit ihrer geschicht-lich-socialen Bestimmtheit vollendet: die verzauberte, verkehrte und auf den Kopf gestellte Welt, wo Monsieur le Capital und Madame la Terre als sociale Charaktere, und zugleich un-mittelbar als bloße Dinge ihren Spuk treiben. 

Es ist das große Verdienst der klas/sischen Oekonomie, diesen falschen Schein und Trug, diese Verselbständi-gung und Verknöcherung der verschiednen gesellschaftlichen Elemente des Reichthums gegen einander, diese Personificirung der Sachen und Versachlichung der Produktionsverhältnisse, diese Religion des Alltagslebens aufgelöst zu haben, indem sie den Zins auf einen Theil des Profits, und die Rente auf den Ueberschuß über den Durchschnitts-profit reducirt, sodaß beide im Mehrwerth zusammenfallen; indem sie den Cirkulationspro-ceß als bloße Metamorphose der Formen darstellt, und endlich im unmittelbaren Produkti-onsproceß Werth und Mehrwerth der Waaren auf die Arbeit reducirt. 

Dennoch bleiben selbst die besten ihrer Wortführer, wie es vom bürgerlichen Standpunkt nicht anders möglich ist, mehr oder weniger in der von ihnen kritisch aufgelösten Welt des Scheins befangen, und fallen daher alle mehr oder weniger in Inkonsequenzen, Halbheiten und ungelöste Widersprüche. Es ist dagegen andrerseits ebenso natürlich, daß die wirkli-chen Produktionsagenten in diesen entfremdeten und irrationellen Formen von Kapital – Zins, Boden – Rente, Arbeit – Arbeitslohn, sich völlig zu Hause fühlen, denn es sind eben die Gestal-tungen des Scheins, in welchem sie sich bewegen und womit sie täglich zu thun haben. 

Es ist daher ebenso natürlich, daß die Vulgärökonomie, die nichts als eine didaktische, mehr oder minder dok-trinäre Uebersetzung der Alltagsvorstellungen der wirklichen Produktions-agenten ist, und eine gewisse verständige Ordnung unter sie bringt, grade in dieser Trinität, worin der ganze innere Zusammenhang ausgelöscht ist, die naturgemäße und über allen Zweifel erhabene Basis ihrer seichten Wichtigthuerei findet. Diese Formel entspricht zu-gleich dem Interesse der herrschenden Klassen, indem sie die Naturnothwendigkeit und ewige Berechtigung ihrer Einnahmequellen proklamirt und zu einem Dogma erhebt. 
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K. Marx, Das Kapital III, MEGA II.15
; S. 804f. [MEW 25, S. 838f.]  

 

 

Montag, 8. September 2025

Das fixe Kapital und das System der Arbeitsteilung.

Ford, Fließband                                                                                 aus Marxiana

Das Charakteristische dieser Art der Ökonomie des konstanten Kapitals, die aus der fortschreitenden Entwicklung der Industrie hervorgeht, ist, dass hier das Steigen der Profitrate in einem Industriezweig geschuldet wird der Entwicklung der Produktivkraft in einem andern. Was hier dem Kapitalisten zugute kommt, ist wieder ein Gewinn, der das Produkt der gesellschaftlichen Arbeit ist, wenn auch nicht das Produkt der direkt von ihm selbst exploitierten Arbeiter.

Jene Entwicklung der Produktivkräfte führt sich in letzte Instanz immer zurück auf den gesellschaftlichen Charakter der in Tätigkeit gesetzten Arbeit; auf die Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft; auf die Entwicklung der geistigen Arbeit, namentlich der Natur-wissenschaft. Was der Kapitalist hier benutzt, sind die Vorteile des gesamten Systems der Arbeitsteilung. Es ist die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit in ihrer auswärtigen Abteilung, in der Abteilung, die ihm Produktionsmittel liefert, wodurch hier der Wert des vom Kapitalisten angewandten konstanten Kapitls relativ gesenkt, also die Profitrate erhöht wird.

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K. Marx, Das Kapital III, MEW 25, S. 92



Nota I. - Die Rede ist hier von dem Teil des konstanten Kapitals, der in Produktionsmitteln besteht (der andere Teil wären die Rohstoffe); dem, was M. andernorts* das fixe Kapital nennt. Im fixen Kapital ist allerdings der ganze Stand der technischen Kultur, nämlich die ganze Arbeitsteilung vergegenständlicht. Wenn auch der Tauschwert der Produkte letzten Endes nur im jeweiligen Produktionspreis der Arbeitskraft besteht: der Gebrauchswert der Produktion wird bestimmt vom Stand der Technologie, und zu der gehört der Bildungsgrad des Arbeitsvermögens 
26. 12. 16

*) Der Dritte Band des Kapital ist von Engels postum aus der 2. Bearbeitungsstufe zusammengestellt worden; also vor dem von M. selbst edierten Ersten Band formuliert.

Nota II. - Metatheoretisch gesprochen: Bei Marx hat 'Methode' nicht zum Zweck, zu erklä-ren, dass und wie aus Begriffen Dieses oder Das entstanden ist und logisch entstehen muss-te; sondern das Vorfindliche analytisch zu zergliedern und aus den so gefundenen begriffli-chen Distinktionen genetisch zu rekonstruieren - und kritisch aufzuklären. Nicht also der Hegelschen "Dialektik" zu huldigen und stattdessen Fichtes "analytisch-synthetisches Ver-fahren" als dessen rationalen Kern wiederherzustellen; faktisch und ohne es recht zu wis-sen
JE

 

 

Sonntag, 7. September 2025

Wie kommt das Ich dazu, aus sich selbst herauszugehen? (II)

 auftauchen                                   zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Man kann die gesamte Aufgabe der Wissenschaftslehre so ausdrücken: Wie kommt das Ich dazu, aus sich selbst herauszugehen?
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 196

 

Nota. - In formalistischen Handbüchern findet man es so dargestellt: Begründer des sog. Deuschen Idealismus war Kant, indem er die Philosophie nicht bei den Objekten, sondern am Subjekt beginnen lies. Auf ihn folgte Fichte, der aus dem dergestalt substantivierten Ich eine ganze Welt konstruiert hätte: der sog. Subjektive Idealismus. An ihn habe Schelling an-geschlossen, indem dem so gewonnenen absoluten Subjekt ein absolutes Objekt zur Seite gestellt habe: 'Man müsse das Subjekt auch als Objekt auffassen'. Das war laut Lehrbuch der Objektive Idealismus. Das alles habe Hegel zusammengefasst in einem Absoluten Idealis-mus: 'Man müsse das Objekt auch als Subjekt auffassen'! 

Am Anfang war nämlich alles Eins: 'die Idee'. Die habe sich bei sich allein nicht wohlge-fühlt und daher widersprüchlich in individuell Mannigfaltiges auseinander gelegt, und die Widersprüche trieben wiederum auf ihre wechselseitige Aufhebung hin und auf ihre schließliche Wiedervereinigung zum Absoluten Wissen. Der Prozess sei eine zirkuläre Bewegung des an sich auf sich beschränkten Einen hin zu einem Wissen seiner-selbst.

Dem Leser von HegelsVorlesungen zur Geschichte der Philosophie kommt das bekannt vor. So beschrieb en gros der Neuplatoniker Plotin die Bewegung des Einen Geistes durch die Niederungen der Materie zurück zu sich selbst als einem selbsterkannten Ganzen - aber als prosaische, wenn auch begeisterte Erzählung; Hegel hat mehr Sympathie für Plotins Nachfolger Proklos, der das alles in ein schulmäßig ausgebildetes System fasste.

Und immer blieb hinter einem Schleier die Frage: Wie aber kommt das friedliche Eine dazu, aus sich herauszugehen ? Es überströmt aus seiner Fülle, muss man annehmen - Emanation nannte es der halbherzige Emil Lask.  

Hegel hat das Problem gelöst, indem er dem Einen Sein das andere Nichts als immanenten Opponenten einsetzt. Das ist ein fauler Trick, aber gehört nicht an diese Stelle.

Das war keine Sache, die der - wie er selbst es nannte - Kritische Idealist Fichte unerledigt hätte liegen lassen. Vielmehr die ganze Wissenschaftslehre hat er diesem Thema gewidmet.
JE 

Samstag, 6. September 2025

Das Mannigfaltige liegt im Ich.

                        zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

... das Denken eines Ichs, in dem ein Mannigfaltiges liegt, nämlich Zweckbegriff und Han-deln. Dieses wird 1. durch mein Denken unterschieden, also 2. dadurch in ein Verhältnis gesetzt. In welches? In das der Bestimmbarkeit und Bestimmtheit oder Dependenz, id est das Verhältnis in der Zeit:* Das Bestimmbare geht dem Bestimmten voraus, der Zweck-/begriff geht dem Wollen voraus.
*) [hier verstanden lediglich als Nacheinander; nicht aber als Dauer] 
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 185f.

 

Nota. - Wie kann das sein: dass das Mannigfaltige im Ich läge? Sobald ich von einem Ich rede, nehme ich an, dass es 'an sich' ein Unbestimmtes ist. Aber das ist nur halb richtig. Denn wenn es auch durch kein anderes zu diesem oder jenem bestimmt wurde, hat es sich doch, indem es sich als ein solches gesetzt hat, zum Bestimmen bestimmt. Es setzt mithin ein Bestimmbares sich voraus. Reales Wollen, nämlich bestimmen-Wollen zu Diesem oder Jenem, was nämlich erst ein bestimmtes Wollen sein kann, gibt es nur durch einen eo ipso bestimmten Zweck begriff. Sofern es sich also zu einem Ich bestimmt, setzt es eine Mannig-faltigkeit von möglichen Zwecken sich voraus.

Das saust's im Schädel? Nein, keineswegs. Denn die Wissenschaftslehre konstruiert nicht aus apriorischen Begriffen eine wirkliche Welt, sondern destilliert aus einer durch-Begriffe-bestimmt-vorgefundenen wirklichen Welt die ihr vernünftigerweise zugrunde zu legenden Begriffe heraus. 'Wenn ich die als-begriffen-vorgefundene Welt selber zu re konstruieren hätte, müsste ich es so anstellen...'

Der Ausgangspunkt ist sachlich gegeben und steht nicht in Frage. Die Frage war nur, ob es darin einen Sinn zu verstehen gibt - und welchen; nämlich keinen anderen.
JE 

 

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Freitag, 5. September 2025

Die Geisterwelt ist eine Abstraktion; objektiv ist die Materie.

                                zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik 

Wir sehen hier die Entstehung der ganzen Körperwelt, ja unserer gesamten, auch der Geis-terwelt, denn es wird sich zeigen, dass unsere Geisterwelt nichts ist als eine Abstraktion von der Körperwelt.

Wir haben jetzt die Einsicht erhalten, wie uns die Körperwelt entstehen  müsse. Wir brau-chen keinen gegebenen Stoff vorauszusetzen. Alles Objektive - und das Objektive hebt an von der Materie - entsteht in uns; ich bin ursprünglich beschränkt, und diese Beschränkt-heit, wenn ich darauf reflektiere, ist das Gefühl.* Das Gefühl ließe sich allenfalls für das Gegebene halten, allenfalls, denn es ist auch nur ein Gefühl, inwiefern ich darauf reflek-tiere. 
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 113

 
Alle Abstraktion bezieht sich auf Erfahrung und ist ohne sie gar nichts.
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ebd.S. 134 

 

*Nota. - Von Gefühl ist in der Wissenschaftslehre nur die Rede, sofern es durch die äußeren Gliedmaßen gegeben wird, denn die sind willkürlich artikulierbar und spezifisches Organ meiner Tätigkeit.
JE 

 

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Donnerstag, 4. September 2025

Aktuale Evidenz.

                                   zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Dass das Ich das Bestimmende dieses Objekts sein soll durch den Zweckbegriff. Diese Ver-mittelung überhaupt ist das Medium, wodurch das Ich das Objekt sieht, gleichsam das Auge; ich sehe durch mein Machen hindurch das Gemachte, ich weiß unmittelbar nur von mei-nem Machen. So wie in der Mathematik mit der Konstruktion bewiesen wird. ... Das Ich sieht unmittelbar auf sein Bestimmen und sieht ihm zu, an dieses Bestimmen und Modi-fizieren knüpft in seinem Bewusstsein sich ein Bestimmtes.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 195 


Nota. - Ein Objekt ersteht dem Ich überhaupt nur durch sein Tun, und ein Objekt, das keiner Tätigkeit zum Gegenstand wird, ist keins.
(Anschauen ist kein rezeptives Abbilden, sondern aktives Hinschauen.

 

 

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Mittwoch, 3. September 2025

Das heuristische Modell.

Antikythera-Mechanismus                                                                        aus Marxiana

Keineswegs ist das "wesentliche Neue" an der Dialektik, wenn sie rationell aufgefasst wird, dass sie - entgegen einer "statischen" formalen Logik - "das Dynamische" denkbar mache: Das tut sie nur in ihrer hegelisch mystifizierten Form, in welcher sie freilich das "Dynami-sche" gerade auch wieder aufhebt - und eben damit nicht denkbar macht...

...denn tatsächlich ist das System der "Wechselbestimmung der Begriffe" ein System des Gleichgewichts, nicht der Entwicklung: Eines hält das Andere, und das Andere hält das Eine: Da ist gar kein Grund, oder wie Wittgenstein sagt, das ganze Haus trägt das Funda-ment.

"Das Dynamische" wird hingegen durch das dialektische "Modell" - um es geradeheraus zu sagen - in der Tat dargestgellt, nämlich per Negation: 'Ursprung' und 'Zusammenbruch' als die bestimmten Grenzen seiner Geltung.

Und der Moment seiner positiven Geltung ist dann gleichermaßen eine Art Grenzbestim-mung: der "Punkt", wo sein noch-nicht-Gelten und sein schon-nicht-mehr-Gelten sich be-stimmt die Waage halten;* und dies macht vollends deutlich den transitorischen, nämlich rein instrumentalen, nämlich heuristischen Charakter des 'Modells': Mittel der Sinn-"Bestim-mung" - aber Bestimmung hier nicht als Setzung, sondern lediglich als deren Darstellung; die Setzung selbst des Sinns ist "praktisch"; nicht diskursiv-vermittelt...
26. 6. 87
*) Real ist für Fichte stets nur das Übergehen aus einem zeitlosen Moment in den nächsten: ein "Schweben"
2. 9. 25


Nachtrag.
Das Kapital hat 3 Bände. Der erste stellt in einem abstrakten Modell dar, wie sich das Ka-pital im Produktionsprozess 'selbst setzt' - unter historisch gegebenen Bedingung, die au-ßerhalb seiner liegen, aber im 1. Band doch dargestellt werden: die "sogenannte ursprüng-liche Akkumulation". Der 2. Band stellt dar, wie sich das Kapital im Zirkulationsprozess 'als solches bestimmt': den Mehr wert realisiert. Der 3. Band stellt dar - wiederum in einem ab-strakten Modell, unter Auslassung störender Kontingenzen - den "Gesamtprozess der kapi-talistischen Produktion" als die Einheit von Produktions- und Zirkulationsprozess; und stellt dar seine historische Schranke: den Fall der Profitrate.

Zwischen den Polen 'ursprüngliche Akkumulation' und 'Fall der Profitrate' funktioniert das Modell. Beide Pole sind nicht begrifflicher, sondern faktischer Art und können im Modell daher nicht dargestellt werden. Das gilt nicht nur für die "ursprüngliche Akkumulation", sondern ebenso für den 'Fall der Profitrate' - für die sogar doppelt: Erstens, indem sich im Wertzuwachs des Fixen Kapitals der Gebrauchs wert, der im Modell materialiter gar nicht vorkommt, als selber formbestimmend geltend macht; und zweitens, indem die Entschei-dung, ob das abstrakte (=aus dem Begriff abgeleitete) 'Gesetz' überhaupt je aktuell wirksam wird, von Fakten abhängt, die im 'gesetzgebenden' Modell überhaupt nicht vorhersehbar sind.

Darauf will ich hinaus: Die Kritik der Politischen Ökonomie ist - ein historisches Fach, und das macht die Kritik gerade aus: Die Politische Ökonomie selber verstand sich als seine no-mothetische Disziplin: Vorangegangene Wirtschaftsweisen wären historischen Verirrungen geschuldet; mit dem Markt setze sich endlich die wahre Art des Wirtschaftens durch, die ökonomischen Gesetze kämen zu freier Entfaltung. Dr. Quesnay, Smith und Ricardo bau-ten an Modellen.

Marx greift die Prämisse auf, zunächst gar nicht kritisch, sondern in der Absicht, das 'Mo-dell' zu vervollständigen. Doch immerhin: Er betrachtet das Modell nicht als aus den Ge-setzen hervorgegangen, sondern umgekehrt die Gesetze als dem Modell zugehörig. Er be-handelt das Modell als ein Idion; als Eine historische Begebenheit,* und was er an 'Geset-zen' antrifft, entschlüsselt er als das wirkliche Handeln lebender Menschen unter den Bedin-gungen dieser Begebenheit. Nicht, wie die Politische Ökonomie tat, nomothetisch, sondern idiographisch, wie es der Geschichtswissenschaftler tut. Er benutzt das Modell als eine heu-ristische Figur: apagogisch, um zu prüfen, was es taugt. Es taugt nicht zum Verstehen, aber es taugt zum Verschleiern.

*) Das Modell kennt keine Zeit. Es gibt ein funktionales Nacheinander, aber keine Dauer. Es geschieht alles mit einem Mal. Das Modell ist nicht wirklich, es kann nur vorgestellt werden.
15. 12. 16 

Apagogische Dialektik.

                                                                                zu Marxiana Kapital kann also nicht aus der Zirkulation...