Donnerstag, 31. Juli 2025

Das Gesetz, der Zufall und der Durchschnitt.

pixabay                                                                                         zu Marxiana

Wir hatten in Buch II [des Kapital] diese Zirkulationssphäre natürlich nur darzustellen in bezug auf die Formbestimmungen, die sie erzeugt, die Fortentwicklung des Kapitals nachzuwei-sen, die in ihr vorgeht. In der Wirklichkeit aber ist diese Sphäre die Sphäre der Konkurrenz, die, jeden einzelnen Fall betrachtet, vom Zufall beherrscht wird; wo also das innere Gesetz, das in diesen Zufällen sich durchsetzt und sie reguliert, nur sichtbar wird, sobald diese Zu-fälle in großen Massen zusammengefasst werden, wo es also den einzelnen Agenten der Produktion selbst unsichtbar und unverständlich bleibt.
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K. Marx, Das Kapital III, MEW 25, S. 836

 

Nota. - In der Wirklichkeit beobachten lässt sich die Konkurrenz, und deren augenfälligstes Merkmal ist ihre Zufälligkeit. Ihre Auswirkungen auf längere Sicht erscheinen jedoch so zwingend wie ein Gesetz. Denn in der Zeit gleichen die Zufälle einander aus und wirken objektiv - als Durchschnitt

Aus dieser Perspektive erscheint die Folge als Bestimmung der Ursache. Die Bezeichnung Causa finalis wird auf Aristoteles zurückgeführt, und bei dem hat sie eine metaphysische Bedeutung. Erklärungsgrund sagt Fichte treffender, und damit meint er den historischen Sinn des Vorgangs.
JE 

Mittwoch, 30. Juli 2025

Erklärungsgrund heißt Sinndeutung.

                                zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Mehrfach finden wir in Nova methodo die Formel, ein X sei nicht als reell gemeint, son-dern "nur als Erklärungsgrund".

Was soll das heißen? Wenn der Grund nicht reell ist, wie kann er dann etwas begründen? 

Na eben nicht reell, sondern - ideell. Er begründet nichts in Raum und Zeit Vorkommen-des, sondern nur, weshalb etwas gilt - nämlich wozu es gut ist. Nicht, was seine Ursache ist, sondern welcher Zweck es rechtfertigen könnte.

Es ist eine Sinnbestimmung. 

 

 

Dienstag, 29. Juli 2025

Wert ist Anteil am Gesamtarbeitstag.

                                                      aus Marxiana

Obgleich die Form der Arbeit als Lohnarbeit entscheidend [ist] für die Gestalt des ganzen Prozesses und für die spezifische Weise der Produktion selbst, ist nicht die Lohnarbeit wertbestimmend. In der Wertbestimmung handelt es sich um die gesellschaftliche Arbeits-zeit überhaupt, das Quantum Arbeit, worüber die Gesellschaft überhaupt zu verfügen hat und dessen relative Absorption durch die verschiednen Podukte gewissermaßen deren respektives gesellschaftliches Gewicht bestimmt. 

Die bestimmte Form, worin sich die gesellschaftliche Arbeitszeit im Wert der Waren als bestimmend durchsetzt, hängt allerdings mit der Form der Arbeit als Lohnarbeit und der entsprechenden Produktionsmittel als Kapital insofern zusammen, als nur auf dieser Basis die Warenproduktion zur allgemeinen Form der Produktion wird.
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K. Marx, Das Kapital III, MEW 25, S. 889


Nota. - Wert ist der Anteil des Produkts an der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit. Das ist unabhängig von der Form, unter der die Arbeit ausgeführt wird. Im Begriff der gesellschaft-lichen Arbeitszeit ('Gesamtarbeitstag') entfällt alle Formbestimmung: Wert und Gebrauchs-wert sind hier dasselbe.

Der Anteil des Produkts an der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit (= die Anerkennung des seinem Gebrauchswert entprechenden Bedürfnisses als gesellschaftlich gültig) hängt allerdings ab von der Verteilung der Produktionsmittel. Insofern spielt es dann doch eine Rolle, ob die Arbeit typischerweise als Lohnarbeit geleistet wird oder nicht; will sagen, spielt das Klassenverhältnis eine Rolle.
JE,
30. 12. 16


Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE.

Montag, 28. Juli 2025

Die Scheidelinie von Denken und Vorstellen ist die Zeit.

                                     zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

... denn das Übersinnliche ist nicht in der Zeit, und deswegen können wir es nicht denken, sondern bloß daraus erklären.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 185 

 

Nota. - Müsste heißen: nicht vorstellen; denn was wir lediglich denken, ist gerade nicht in der Zeit. Nicht alles, was wir denken können, können wir auch vorstellen; die Zeit können wir uns wegdenken, da wir sie hineingedacht haben; doch vorstellen können wir's uns nicht: Vom Begriff kann man abstrahieren, aber nicht von der Einbildungskraft. Denn da ginge das ganze Bild verloren. Es bliebe nur vorher und nachher, die das Gefühl uns anzeigt; und außerdem nichts. Jedenfalls kein Sinn.
JE 

 

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Sonntag, 27. Juli 2025

Das Anschauen ist, im Gegensatz zum Gefühl, Tätigkeit.

  J. Reynolds, Self           zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Ich fühle in dem Anschauen mich bloß tätig; das dem Anschauen Entgegengesetzte muss außer mir gesetzt werden und wird sonach zum NichtIch, zu einem nur Begrenzenden. Dass es ein NichtIch sei, sehen wir hier nur von dem philosophischen Gesichtspunkte, es ist bloß ein Begrenzendes. Das Ich ist nicht aus sich herausgegangen. Meine eigene Be-schränktheit ist es, welche angeschaut wird, aber sie wird nicht angeschaut als die meinige, sie wird nicht auf mich bezogen. Ich bin das gefühlte Subjekt der Anschauung, und qualis talis (als solches) tätig; die Beschränktheit ist es, wodurch die ideale Tätigkeit ideale Tätigkeit wird.

In der Anschauung bin ich nicht das Angeschaute, nicht das Objekt derselben. Das An-schauen
[ist,] im Gegensatz mit dem Gefühle[,] Tätigkeit. Mit dem Anschauen ist Selbstgefühl verknüpft. Im Anschauen fühle ich mich als tätig; was ist nun das Objekt? Es ist nichts an-deres als das Gefühl selbst, das Gefühl meiner Beschränkheit, aber diese Begrenztheit wird nicht gesetzt als die meinige. Das Objekt wird gesetzt als außer mir, NichtIch, es ist entge/gengesetzt dem Ich, aber auf dieses Entgegengesetzte wird nicht gemerkt, es wird nicht auf mich bezogen.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodoHamburg 1982, S. 81f.



Nota. - Im Fühlen sind Tätigkeit und Leiden vereinigt. Es ist die Synthesis vor aller Teilung, es ist die Stelle, wo Ich und NichtIch einander 'setzen', die Stelle wo mir mit mir-selbst zu-gleich eine Realität 'gesetzt' ist; indem ich das Andre fühle, fühle ich mich.

Aber mehr auch nicht. Von Bewusstsein kann noch in keinem Sinn die Rede sein: Dazu müsste ich mich aus der unmittelbaren sinnlichen Einheit lösen und, indem ich vom An-dern zurücktrete, zu mir selbst Abstand nehme.

Das geschieht in der Anschauung. Indem ich mich anschauend im Gegenstand versenke, gehe ich mir, nachdem ich mich eben zum erstenmal gefühlt habe, wieder verloren. Im ästhetischen Zustand, sagt Schiller, sei der Mensch "gleich Null". Aus dieser unverhofften Wiedervereinigung kann er sich nur lösen, indem er vom Anschauen zum Bestimmen übergeht: des Gegenstands sowohl als seiner selbst. Er geht zur Reflexion in specie über: Im Anschauen geschah sie erst 'an sich', im Bestimmen wird sie - und er - für ihn.

Wie kommt aber das Ich oder jenes a Morphem, das ihm vorausging, dazu, sich all dem zu unterziehen? 

Wir nehmen vorab an: durch Freiheit - was nichts anders heißt, als dass es gewollt haben muss. Was aber zugleich heißt, dass es das ebensowohl unterlassen konnte.

*

'Der Mensch' hat sich eine Welt eingerichtet, die von mannigfaltigen Bestimmten angefüllt ist und in der, nicht zuletzt durch seine nimmermüde Tätigkeit, allezeit neues unbestimmt-Bestimmbares hinzukommt. Um in dieser Welt zu bestehen, wird er mit dem Bestimmen ewig und unendlich fortfahren müssen.

Er wird es aber, wenn er will, unterbrechen können - solange er will und solange die ges-chäftige Welt es ihm erlaubt. Der ästhetische Zustand, das Anschauen um seiner selbst willen, wurde möglich, seit mit dem Bestimmen einmal begonnen wurde.
JE, 16. 6. 19
 
 

Samstag, 26. Juli 2025

Die Kategorien sind praktisch.

                            zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Die Kategorien sind die Weisen, wie das unmittelbare Bewusstsein zu einem mittelbaren wird; die Weisen, wie das Ich aus dem bloßen Denken seiner selbst herausgeht zu dem Denken eines Anderen. Sie sind nicht etwa etwas Verknüpfendes, sondern sie sind die Weisen, ein Einfaches zu einem Mannigfaltigen zu machen, das Einzelne doppelt anzu-sehen. 
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo,  S. 198
 
 
Nota I. -  Die Kategorien sind praktisch, indem sie Medien zum Fort bestimmen des Be-stimmbaren sind. Ach ja, 'an sich' sind sie ideal, nur... 'an sich' sind sie gar nicht.
 
 
Nota II. -  Die Kategorien kommen ja nicht als solche vor, sondern nur jeweils an der kon-kreten Situation, in der sie gelten. Sie gelten aber in Hinblick auf das, was aus ihnen folgen soll. Nämlich in einem bestimmten Bewusstsein  - was jenes 'zu einem Mittelbaren macht'.
 
 
Nota III. - Das unmittelbare Bwusstsein ist ein unbestimmtes Bewusstsein, was eigentlich ein Widersinn ist: Es ist lediglich in statu nascendi; es kann so nicht bleiben; es setzt sich fort oder es fällt zurück.  "Ein solches Bewusstsein ist Anschauung, und Anschauung ist ein sich-selbst-Setzen als solches, kein bloßes Setzen. Alles Vorstellen ist ein sich Setzen. Vom Ich geht alles aus. Das Ich ist kein Bestandteil der Vorstellung, sondern vom Ich geht alle Vorstellung aus. Alles mögliche Bewusstsein setzt das unmittelbare Bewusstsein voraus und ist außer dem nicht zu begreifen." Nova methodo, S. 34 
JE 
 
 

 

Freitag, 25. Juli 2025

Gesellschaftliche Geltung und Verteilung der Arbeit

                                                                    aus Marxiana

Der Charakter 1. des Produkts als Ware, und 2. der Ware als Produkt des Kapitals, schließt schon sämtliche Zirkulationsverhältnisse ein, d. h. einen bestimmten gesellschaftlichen Pro-zess, den die Produkte durchmachen müssen und worin die sie bestimmte gesellschaftliche Charaktere annehmen; er schließt ein [ein] ebenso bestimmtes Verhältnis der Produktions-agenten, von [dem] die Verwertung ihres Produkts und seine Rückverwandlung, sei es in Lebensmittel, sei es in Produktionsmittel, bestimmt ist. 

Aber auch abgesehen hiervon, ergibt sich aus den beiden obigen Charakteren des Produkts als Ware, oder Ware als kapitalistisch produzierter Ware, die ganze Wertbestimmung und die Regelung der Gesamtproduktion durch den Wert. In dieser spezifischen Form des Werts gilt die Arbeit einerseits nur als gesellschaftliche Arbeit; andererseits ist die Verteilung dieser gesellschaftlichen Arbeit und die wechselseitige Ergänzung, der Stoffwechsel ihrer Produk-te, die Unterordnung unter und Einschiebung in das gesellschaftliche Triebwerk, dem zu-fälligen, sich wechselseitig aufhebendenTreiben der einzelnen kapitalistischen Produzenten überlassen.

Da diese sich nur als Warenbesitzer gegenübertreten und jeder seine Ware so hoch als möglich zu verkaufen sucht (auch scheinbar in der Produktion selbst nur durch seine Willkür geleitet ist), setzt sich das innere Gesetz nur durch vermittelst ihrer Konkurrenz, ihres wechselseitigen Drucks aufeinander, wodurch sich die Abweichungen gegenseitig aufheben. Nur als inneres Gesetzt, den einzelnen Agenten gegenüber als blindes Naturge-setz, wirkt hier das Gesetz des Werts und setzt das gesellschaftliche Gleichgewicht der Produktion inmitten ihrer zufälligen Fluktuationen durch.
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K. Marx, Das Kapital III, MEW 25, S. 887 



Nota. - Das Wertgesetz gilt "spezifisch", nämlich unter der Voraussetzung, dass sich die Gesellschaft bereits zu einem kapitalistischen System ausgebildet hat - nach der "ursprüng-lichen Akkumulation". Wer diesem Gedanken nicht folgen mag, muss sich nur an M.s obige Formulierung halten; da steht es deutlich genug.

Es ist die faktische Anerkennung durch das wirkliche Handeln der Austauschenden, das die Geltung ausmacht; und die nennt Marx ein 'Gesetz' - sofern es nämlich den Kokurrenten nicht als ihre eignes Handeln vorkommt, sondern als unerklärlicher Zufall.

Das wirkliche Handeln der Austauschenden findet unter sachlichen Bedingungen statt, die in ihm zur Geltung kommen. Und die sind gegeben in der Verteilung: "...kann gesagt wer-den, dass das Kapital... selbst schon eine Verteilung voraussetzt: die Expropriation der Ar-beiter von ihren Arbeitsbedingungen, die Konzentration dieser Bedingungen in den Hän-den einer Minorität von Individuen..." (ebd., S. 886) Die Teilung der Arbeit setzt die Ver tei-lung der Arbeitsmittel schon voraus - und bedingt wiederum die Ver teilung der Arbeitszeit: nämlich die Bestimmung darüber, welche, d. h. wessen Bedürfnisse gesellschaftlich wieviel gelten sollen.

Keine Chance für den 'naturalistischen Wertbegriff'...
JE, 28. 12. 16

 

 

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Donnerstag, 24. Juli 2025

Vorstellen und Denken.

 In hoc signo vinces                 zu Philosophierungen

Des Denkens können wir uns gegebenenfalls enthalten; des Vorstellens nicht.

Was heißt denken? Zwei Begriffe zu einander ins Verhältnis setzen. Was ist ein Begriff? Eine bestimmte Vorstellung. Was heißt: eine Vorstellung bestimmen? Sie als Gegensatz fassen: fassen heißt entgegen setzen. Heißt zwischen zwei Termini ein Bedeutungsfeld eröffnen, in das Phainomena eingesetzt werden sollen. Die Bedeutung selbst wird nicht vorgestellt: Sie muss gedacht werden - als Spannung zwischen den Polen. Die Pole kann ich bezeichnen  und dadurch den Begriff benennen. Die Vorstellungsarbeit muss ich jedesmal neu leisten. Müsste ich, denn anders darf man von Denken nicht reden.

Ich kann aber auch darauf verzichten, und es soll Leute geben, denen das ein Leichtes ist. Aber aufs Vorstellen kann keiner verzichten. Ich stelle mir Etwas vor, sobald ich soundso-viel Meldungen meiner Sinnesorgane als Eines anschaue. Anders würde ich nichts wahr-nehmen, sondern in einem Ozean von Gefühlen treiben; Phainomena würden mir nicht erscheinen

Denken setzt voraus, dass Begriffe benannt wurden. Ich kann meinen Teddy so und meine Lieblingsjacke anders nennen. Wenn ich will, dass einer mich versteht, muss ich solche Na-men wählen, die ein anderer ebenso auffasst wie ich. Nach diesem Muster kann ich die gan-ze Welt beschreiben, und das tun die realen Sprachen. 

Die theoretische Physik dieser Tage spricht keine reale Sprache - sondern die Sprache der theoretischen Physik. Sie besteht aus Begriffen, bei denen die Eingeweihten sich etwas - nämlich dasselbe - denken können. Indem sie diese Sprache sprechen, unterstellen sie, dass sie dasselbe denken. Nicht unterstellen sie, dass einer, ein paar oder alle sich dabei etwas vorstellen  können: Die Frage klammern sie aus, weil sie nicht zu ihrem akademischen Fach, sondern vielleicht zu einem anderen gehört - oder nichtmal das: Mit andern Worten, allein durch die Auffassung, dass es sich um ein Fach handelt, wird die Frage nach der Herkunft der Begriffe aus den Vorstellungen beiseite getan. Das wird wissenschaftspragmatisch zweckmäßig sein. Aber im Wissen tut es eine Lücke auf. Wo keine Anschauung mehr mög-lich ist, gibt es keine Erfahrung - und kein Wissen

Für sich - "immanent" - mag jeder Wissenszweig erfolgreich sein; z. B. Vorhersagen ermög-lichen. Aber das ist ein technologischer, pragmatischer Gesichtspunkt, und er taugt, wozu er taugt. 

Denken - Vorstellungen in Sprache fassen - geschieht zwecks Mitteilung; oder zwecks Refle-xion: Ich höre mir zu, um besser zu verstehen. So kann es auch semantisches Gedächtnis geben, ohne das keine Vernunft denk bar wäre. Um meine Vorstellungen zu behalten, reicht mir das episodisches Gedächtnis, aber es ist volatil. Die Wörter des semantischen Gedächt-nisses sind in Zeichen gefasst; Laute, die auch nicht beständig sind - doch die Buchstaben der Sprache finden sich überall wieder und bringen die Erinnerung von außen zurück.

Das episodische Gedächtnis besteht in Bildern, die anschaubar sind. Das semantische Ge-dächtnis besteht aus Zeichen, die lesbar sind. Vorstellen kann man im analogen Modus, denken muss man im digitalen Modus - erst der ermöglicht Reflexion. Dieser ist bunt an Farben und Formen, jener ist genau (ziemlich). Dieser ist produktiv, jener bloß vermittelnd.

 

Anmerkung.
Fichte mochte eine systematische Nomenklatur nicht aufstellen, solange sein System nicht abgeschlossen war.
Eine Eigenheit seines Systems ist aber, dass es der Sache nach nicht abgeschlossen werden kann. Eine sinnvolle Nomenklatur wird niemals möglich.

Die Nomina sind daher immer nur konkret und situativ zu verstehen. Sie gelten immer nur 'gewissermaßen'.
JE 


Dienstag, 22. Juli 2025

Phänomenologie von Zeit und Raum.

 Zwinge                          zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik  

... die Begebenheiten in der Welt hängen zusammen wie Ursache und Wirkung, zugegeben! In dem Begriffe der Kausalität liegt schlechthin keine Zeit; denn das Bewirkte ist absolut mit der Wirkung zugleich, auch mechanisch gedacht. Denn entsteht denn eine Verküpfung erst hinterher nach der Ursache? Nein, wenn der Finger eindrückt, entsteht die Grube. Alles, was ist, ist Bewirktes der Ursache und gleichzeitig mit ihr, was ist diese Ursache? Wieder Bewirktes, und so fort in Ewigkeit. So entsteht keine Zeit, alles ist ein Schlag.

Woher kommt denn also die Zeit, die wir denn doch haben? Daher: Wir können das Be-wirkte und Bewirkende nicht auf einmal denken, man geht von einem zum andern fort, hier gibt das Denken die Zeit. Auch dies nicht einmal, sondern das ursprüngliche Anschauen des Denkens, eine Analyse der Begriffe liefert die Zeitverhältnisse.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 186

 

Nota. - Nach Kant ist die Zeit eine Anschauungsform, hier aber müsste sie hinzugedacht werden - in der Reflexion. Bei Kant ist Anschauung dasselbe wie Sinnlichkeit, nicht aber bei Fichte: Für den ist Anschauen der originäre Schritt des Reflektierens auf das Gefühl. Hier ist es das Vorstellen der Kausalität, durch das die Zeit 'angeschaut' wird.

'Gegeben' sind, wie Hume bemerkte, lediglich vorher und nachher. Mehr können die Sinne nicht anzeigen. Alles Weitere muss die Einbildungskraft hinzutun.

Auch der Raum ist kein Sinnesdatum. Gegeben ist lediglich Da, wo  Bewegung auf Wider-stand trifft. Die Sinne zeigen den Widerstand an, der Gegenstand wird als Ursache dem Widerstand durch Reflexion zugeschrieben; ein (leerer) Raum wird durch Abstraktion/Re-flexion drum herum konstruiert: da, wo kein Widerstand ist. 
JE

 

Einstein relativierte nicht richtig.

                                     zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik

Ich habe einen herostratischen Verdacht: Das Einsteinsche Weltbild kann nicht stimmen, weil er Raum und Zeit als Obiectiva nimmt - aber dann auch wieder nicht: indem er sie miteinander zu einem Kontinuum verknotet. Er konnte das eine nicht zum Maß des andern machen - doch ein "noch Objektiveres" erkennt er in der Bewegung; nämlich der Lichtgeschwindigkeit. Wobei wissenslogisch ganz egal wäre, ob sie wirklich die größte überhaupt Mögliche ist; sie dient ja lediglich als Maß, und da kommt es nur drauf an, ob sie konstant - "objektiv" - ist. Mit ihr können alle andern Bewegungen verglichen... und Stillstand gedacht werden. Damit fängt alles an.

Der Welt selber kann es egal sein, ob sich in ihr eine Standardgröße finden lässt, die unsern Forschern als Maß für alles Andere dienlich ist. Den Forschern freilich nicht, sie wollen ihre Befunde festhalten und mitteilen kön-nen. Also müssen sie messen, so oder anders. Aber die Welt braucht nicht messbar zu sein, davon hat sie keinen Gewinn.

Erkenntnislogisch erscheinen Raum und Zeit uns nur aufgrund der Bewegung - sei es unserer eigenen, sei es der der Dinge. Einerseits, andererseits? Nein: Weil wir  uns bewegen - alles, was wir in Raum und Zeit tun, ist Bewe-gung -, haben wir ein Etwas, mit dem wir in die Welt explorativ hineinragen. Sie ist unser Tertium comparationis, und das halten wir für objektiv. 

Ist der Raum gequantelt? Na klar, in Lichtjahren kann man ihn messen! Genauer gesagt, nach Lichtjahren kön-nen wir  ihn quanteln. Ist die Zeit gequantelt? An der Lichtgeschwindigkeit können wir sie messen. Bei der Gravitation würde es heikel.

Alle wissenschaftlichen Messergebnisse, die keine Fehler haben, hätten ja Bestand. Aber sie müssten in andere Relationen gestellt werden, und dann sähen sie ganz anders aus. 
22. 7. 2025

 

Anmerkung. Ich habe keine eigene Theorie von der Welt vorzutragen und womöglich die gesamte physikalische Wissenschaft auf den Plan zu rufen. Philosophie ist, seit sie sich rechtzeitig von den realen Wissenschaften ab-gelöst hat, rein kritisch. Herausfinden, was "wirklich ist", ist deren Sache. Rationelle Philosophie ist Vernunft-kritik. Sie entwirft keine Hypothesen über die Wirklichkeit, sondern legt bloß, was auf welchen Prämissen beruht, und wie haltbar die sind. 

Wir alle leben vom ersten Tag an im Raum und in der Zeit. Und seit wir etwa sechs Jahre alt waren, wird uns zugemutet, in einem Universum von Ursache und Wirkung zu leben. Ursache und Wirkung sind nützliche Fik-tionen, auf denen die Vernunft im Alltagsgebrauch beruht, keinem fällt ein, sie darum zu bemängeln. Raum und Zeit kommen uns vor, als würden wir sie tagtäglich erleben. So soll es auch bleiben, aber Wissenschaft ist nicht Alltag, sondern Analyse und Synthese jenseits des Alltags. Und seit ein paar Jahrzehnten greift sie immer rascher und tiefer in den Alltag ein, und es kommt ihr zu, das immer scharfsinniger zu reflektieren - weil es der Alltag selber nicht kann.

 

 

Montag, 21. Juli 2025

Wie die Zeit entsteht.

                         zu Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik          

Wie verhält sich nun das entgegengesetzte Denken? Als Bestimmbares und Bestimmtes, aber dies gibt sukzessive Zeitreihe, also durch dieses Denken der Analysis in einem Momen-te entsteht erst die Zeit; wir sehen also genetisch mit an, wie die Zeit entsteht und dass sie ideal ist. 

Dies gehet freilich schwer ein, dass wir uns erst in die Zeit hineindenken. Deswegen: Ich soll mich in die Zeit denken, dies kann ich ja nicht, ohne selbst in der Zeit zu sein; allein wenn man so sagt, hat man gar nicht von der Zeit abstrahiert, man denkt das oberste Den-ken in der Zeit, welches nicht recht ist, denn das Übersinnliche ist nicht in der Zeit, und deswegen können wir es nicht denken, sondern bloß daraus erklären; hier kann es aber jedem überraschend klar werden.

Alles mein Denken, durch welches ich mich konstruiere, ist das Denken eines Ichs, in dem ein Mannigfaltiges liegt, nämlich Zweckbegriff und Handeln. Dieses wird 1. durch mein Denken unterschieden, also 2. dadurch in ein Verhältnis gesetzt. In welches? In das der Bestimmbarkeit und Bestimmtheit oder Dependenz, id est das Verhältnis in der Zeit: Das Bestimmbare geht dem Bestimmten voraus, der Zweck/begriff geht dem Wollen voraus.
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J. G. Fichte,Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 185f.   



Nota. - Das Ich ist, im Unterschied zu mir als Individuum, selbstverständlich nicht in der Zeit

Auch hier wird Zeit nur als Reihenfolge aufgefasst, noch nicht aber als Dauer, welche uns doch schon in der Schule als ihre bleierne Realität vorgekommen ist.
JE 

 
 
 

Zu einem Ich werde ich, indem reale und ideale Tätigkeit sich aufspalten.

                                        zu   Wissenschaftslehre - die fast vollendete Vernunftkritik   Unmittelbar ist das Gefühl Gegensta...